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Berliner Mieter in Aufruhr: Bis zu 7000 Euro Nachzahlung: „Ich bin jetzt 37 und habe echt Angst, alt zu werden“
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FOCUS online/Wochit Bis zu 7000 Euro Nachzahlung: „Ich bin jetzt 37 und habe echt Angst, alt zu werden“
  • FOCUS-online-Reporter

Knapp 1000 Mieter aus Berlin sollen teils mehrere Tausend Euro an Nebenkosten nachzahlen. In den Abrechnungen sehen sie jedoch zahlreiche Fehler. Besonders pikant: Der Vermieter ist ein kommunales Unternehmen. Jetzt gehen die Berliner Mieter auf die Barrikaden.

„Das kann sich ein arbeitender Mensch nicht leisten“, sagt Sandra Gercken. Seit bei der Berlinerin und rund 1000 weiteren Bewohnern in Tegel-Süd kurz nach Weihnachten die Betriebskostenabrechnungen für 2022 im Briefkasten lagen, ist der Kiez in Aufruhr. 

1600 Euro soll Gercken nachzahlen. Bei Nachbarin Stefani Fischer sind es 2500 Euro. Den beiden liegen Forderungen von anderen Bewohnern vor, die sich auf bis zu 7000 Euro belaufen. „Ich bin jetzt 37 und habe echt Angst, alt zu werden“, sagt Fischer zu FOCUS online. Viele, vor allem Senioren,  wüssten gar nicht, wie sie all das bezahlen sollen. Und sie stellen jetzt Fragen.

Bis zu 7000 Euro Nachzahlung: Berliner Mieter protestieren

Allein mit den Preissteigerungen lassen sich die horrenden Abrechnungen das aus Sicht der Mieter nicht erklären. Zu viele Unstimmigkeiten hätten sich bei Überprüfung ergeben. Dabei ist der Vermieter kein Wohnungskonzern mit zweifelhaftem Ruf – die Gewobag ist eine von sechs kommunalen Wohnungsgesellschaften. 

Sie unterhält 74.000 Wohnungen in der Hauptstadt und bietet mehr als 130.000 Berlinern ein Zuhause. Als eines der größten Immobilienunternehmen Deutschlands wirbt die Gewobag für sich selbst mit bezahlbarem Wohnraum, einer exzellenten Reputation und ausgezeichneter Arbeit.

Davon spüren die Mieter in Tegel-Süd derzeit wenig. Gercken und Fischer organisieren inzwischen die Nachbarschaft und den Informationsfluss, rund 250 Betroffene lesen im Gruppenchat mit. Gercken und etwa 60 weitere Mieter lassen sich zudem von einem Anwalt vertreten, um gegen die Abrechnung rechtlich vorzugehen. Laut dessen Berechnung hätten die Mieter sogar ein Guthaben – also Anspruch auf eine Rückzahlung. „Das ist absolut absurd“, sagt Gercken über ihre Situation.

„Wir haben alle nicht mehr geheizt als vorher, wir waren alle sehr sparsam“

Drei Aspekte stoßen den Betroffenen dabei besonders auf:

Obwohl sie nur vier Heizkörper in ihrer Wohnung zählt, fand Gercken acht Zählernummern in ihrer Abrechnung – vier davon waren identisch mit denen bei anderen Mietern. 

Die Gewobag begründet das mit dem Austausch der Heizkostenverteiler und einem Dienstleisterwechsel im Jahr 2022. „Der neue Dienstleister, der für die neuen Verteiler zuständig ist, hat keine Kenntnis über die genauen Zählernummern der alten Geräte und nimmt eine Schätzung für den Zeitraum der alten Zähler vor“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage von FOCUS online.

Doch statt der sonst üblichen 2000 bis 2500 Heizstunden standen bei Gercken plötzlich mehr als 4000. „Wir haben alle nicht mehr geheizt als vorher. Wir waren alle sehr sparsam“, betont sie. 

Fischer, die laut Abrechnung auf 7500 Heizstunden kommt, konnte nach eigenen Angaben bereits Akteneinsicht nehmen. „Man sieht in den Dokumenten: Die Verbräuche sind gesunken“, sagt sie.

Die Abrechnung von Stefani Fischer.
privat Die Abrechnung von Stefani Fischer.

Laut Gewobag musste bislang keine Abrechnung korrigiert werden. „Generell sind die Verbrauchsdaten von Heizkostenverteilern zweier unterschiedlicher Hersteller nicht miteinander vergleichbar. Sie dürfen nicht kumuliert in der Abrechnung verwendet werden“, heißt es vom Vermieter.

Gewobag spricht von Ausnahmeregelung

Zum anderen werden die Warmwasserkosten in einigen Wohnungen nicht verbrauchsabhängig berechnet, sondern zu 100 Prozent nach Wohnfläche. Aus Sicht der Mieter steht ihnen nach der Heizkostenverordnung ein Kürzungsrecht von 15 Prozent zu. Die Gewobag beruft sich dagegen auf eine Ausnahmeregelung: „Die Bauteile in Bädern beziehungsweise Küchen sind schadstoffbelastet und die Ausstattung mit Kalt- und Warmwasserzählern ist ausschließlich im Rahmen einer Komplettsanierung im unbewohnten Zustand wirtschaftlich darstellbar.“

Drittens sind da noch die allgemeinen Preissteigerungen. Die Energiekosten hatten bereits nach der Corona-Flaute 2021 kräftig angezogen und erreichten infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine astronomische Höhen. Im Quartier gibt es mehrere Blockheizkraftwerke, deren Erdgas-Bezugspreise laut Fischer teilweise deutlich voneinander abwichen. Sie sieht einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der Gewobag und deren Tochterunternehmen für Energiedienstleistungen. 

„Sie sind verpflichtet, günstig einzukaufen“, betont sie. Die Gewobag begründet die Preisdifferenzen mit verschiedenen Anbietern mit unterschiedlichen Vertragswerken, Lauf- und Abschlusszeiten. Die Preisgleitformeln entsprächen den gesetzlichen Anforderungen und seien „absolut branchenüblich“.

Bei Bürgergeld-Empfängern tragen die Jobcenter die Mehrkosten

Inzwischen beschäftigen sich auch Interessenvertretungen wie der Berliner Mieterverein mit den Abrechnungen. Geschäftsführer Sebastian Bartels sieht die Mieter in wesentlichen Punkten wie der Warmwasserberechnung oder den Erdgasbezug im Recht, hier sei die Preisanpassungsklausel im Vertrag aus Sicht des Vereins unwirksam. 

„Das ist ein wirklicher Hammer“, sagt er über den Fall. Er zeige, dass städtische Immobilienunternehmen ähnliche Probleme hätten wie private.

Bei Bürgergeld-Empfängern tragen die Jobcenter die Mehrkosten. Rentner und Berufstätige können einen Antrag auf einmalige Leistung stellen, bei Fischer waren das immerhin 750 Euro. Die Gewobag bietet zudem Ratenzahlungen und Stundungen an. 

Bewohner berichten hier jedoch von Problemen in der Praxis und kritisieren eine mangelhafte Kommunikation des Vermieters. „Die Klage ist die Hoffnung für die, die sich keinen Anwalt leisten können“, sagt sie über die wohl bevorstehenden Gerichtsverfahren, die ein Präzedenzfall werden könnten.

"Das macht es schwierig, nicht auf komische Gedanken zu kommen“

Doch Stand jetzt würden die neuen Betriebskosten bei ihr die Kaltmiete übersteigen. „Es ist kein Licht in Sicht“, sagt Fischer resigniert. Mehrere Mieter haben die neuen Abschläge bereits gesenkt, weil sie sich die Beträge schlicht nicht leisten können. 

Bei Gercken macht die Miete nun zwei Drittel ihres Einkommens als Mitarbeiterin bei einem Sicherheitsdienst aus: „Der Lebensstandard ist unter den Tisch gefallen. Das macht es schwierig, nicht auf komische Gedanken zu kommen.“ Und die Abrechnung für das Jahr 2023 verspricht nur wenig Besserung.

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