Krieg in Nahost:Israel erhöht den Druck auf UN-Hilfswerk

Lesezeit: 3 min

Sein Land habe keine Wahl, als den Kampf gegen die Hamas fortzusetzen, sagt Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Ron Prosor, Israels Botschafter in Deutschland, präsentiert Material, das belegen soll, wie untrennbar die Hamas und das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge verbunden sind. Deutschlands Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza wird indes immer schärfer.

Von Daniel Brössler, Berlin

Als Rechenaufgabe ist die Sache einfach. Die Zahl der Märtyrer während der ersten Intifada habe 1392 betragen. Während der zweiten Intifada seien es 4673 gewesen. Abgefragt im Mathebuch wird dann die "Zahl der Märtyrer der Intifadas" insgesamt. Das Rechenbeispiel stammt aus einem Lehrbuch für Schulen des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Es ist Teil eines israelischen Geheimdienstdossiers, das die israelische Botschaft in Berlin am Donnerstag deutschen Journalistinnen und Journalisten zur Einsicht präsentiert hat. Etliche der darin enthaltenen Informationen sind bereits öffentlich bekannt, der deutschen Öffentlichkeit nach Ansicht von Botschafter Ron Prosor aber nicht ausreichend bewusst.

Das zusammengestellte Material soll belegen, dass die Terrororganisation Hamas und das UNRWA in Gaza praktisch untrennbar miteinander verwoben sind - und es soll Israel helfen in einer Lage, in der auch die Kritik der Bundesregierung am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen immer schärfer wird und sich die Frage stellt, wie tragfähig das Sonderverhältnis noch ist.

Der Ton Deutschlands gegenüber Israel hat sich verändert

Prosor würdigt, dass Deutschland nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober mit mehr als 120o Toten und etwa 200 Geiselnahmen von "Tag eins" an solidarisch an der Seite Israels gestanden habe. Bundeskanzler Olaf Scholz gehörte damals zu den ersten internationalen Politikern, die dem unter Schock stehenden Israel einen Besuch abstatteten. Der SPD-Politiker betonte damals das Diktum, wonach die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson sei.

Mehr als fünf Monate später gilt das zwar noch, aber der Ton hat sich deutlich verändert. "Alles, was gemacht wird, muss sich an den Regeln des Völkerrechts orientieren", hatte Scholz während seiner Reise nach Jordanien und Israel Mitte März gesagt. Im Gespräch mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mahnte er eine Linderung der humanitären Katastrophe an und warnte eindringlich vor einer Bodenoffensive in Rafah, wohin sich die meisten Menschen im Gazastreifen geflüchtet haben.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach in dieser Woche gar von der "Hölle von Gaza". Die Grüne äußert sich drastischer als Scholz, aber in der Sache sind sich Kanzler und Außenministerin einig. Beide versuchen, den Druck auf die Regierung in Jerusalem zu erhöhen, und betonen dabei, dass Deutschland zusammen mit den USA zu den letzten gewichtigen Verteidigern Israels gehöre.

Das UNRWA sei systematisch von der Hamas infiltriert, heißt es vonseiten Israels

Wie das amerikanische schlägt aber auch das deutsche Pendel mittlerweile viel stärker in Richtung Kritik aus. So hat Scholz beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel der Forderung nach einer "sofortigen humanitären Pause" zugestimmt. Der Europäische Rat äußerte sich "zutiefst besorgt über die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen" und die "unverhältnismäßigen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere Kinder". Es herrsche die "unmittelbare Gefahr einer Hungersnot als Folge davon, dass nicht ausreichend Hilfsgüter in den Gazastreifen gelangen".

In der Gipfelerklärung werden auch die Dienste des UNRWA als "unerlässlich" bezeichnet. Die EU begrüße, "dass die Vereinten Nationen nach den schwerwiegenden Vorwürfen gegen zwölf Mitarbeiter des UNRWA wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Terrorangriffen vom 7. Oktober rasch eine interne Untersuchung und eine externe Überprüfung eingeleitet haben". Die Zahl zwölf sei nicht mehr aktuell, hieß es während des Briefings der israelischen Botschaft. Man beziffere die Zahl mittlerweile auf 15.

Das Problem gehe aber noch sehr viel tiefer. Das UNRWA sei systematisch infiltriert worden von der Hamas. 2135 Mitarbeiter des UN-Hilfswerks gehörten einer Terrororganisation an. Der Hamas-Anteil unter den Beschäftigten liege bei mehr als 17 Prozent. Hier gehe es nicht einfach um Sympathiebekundungen, betonte Prosor. Die Hamas-Leute durchliefen einen aufwendigen Rekrutierungsprozess.

Israels Botschafter sagt, man nehme Kritik ernst - und weist sie zurück

Vor allem im Schulwesen ist die Unterwanderung durch die Hamas nach den israelischen Angaben massiv. 18 von 200 UNRWA-Schulen seien von Direktoren geleitet worden, die zur Hamas gehören. Das israelische Dossier führt Namen von hochrangigen Hamas-Leuten im Schulwesen auf und dokumentiert den Missbrauch von UNRWA-Einrichtungen für die Terrorinfrastruktur. Israelische Hinweise darauf seien vor dem Terrorangriff des 7. Oktober von den Vereinten Nationen ignoriert worden. Im Gazastreifen sei das UNRWA "nicht mehr zu reparieren". Eine weitere Zusammenarbeit komme nicht infrage. Anders als behauptet, gebe es Alternativen für die humanitäre Hilfe, etwa das Welternährungsprogramm.

Die Zahlungen an das UNRWA in Gaza hat die Bundesregierung zwar suspendiert, wobei aktuell ohnehin keine anstanden, machte aber gegenüber der israelischen Seite klar, dass sie diese Organisation derzeit für kaum ersetzbar hält im Gazastreifen. Baerbock und Scholz mahnten in Israel vor allem eine deutliche Erhöhung der Lastwagenladungen von derzeit etwa 200 täglich auf 500 an.

Die Kritik von Freunden nehme man ernst, sagte Prosor, wies sie aber zugleich zurück. Man arbeite "Tag und Nacht", um die humanitäre Lage zu verbessern, das stoße aber an logistische Grenzen. "Natürlich sind wir besorgt", sagte Prosor zu den verschärften Tonlagen in Washington und Berlin. Allerdings habe Israel keine Wahl, als den Kampf gegen die Hamas fortzusetzen. Das sei wie bei einem Waldbrand: "Es reicht nicht, 80 Prozent zu löschen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungIsrael
:Deutschland hat eine besondere Aufgabe

Außenministerin Baerbock ist erneut im Nahen Osten. Gerade weil die Bundesregierung auf Solidarität mit Israel besteht, kann sie dort mehr für den Frieden erreichen als andere.

Kommentar von Daniel Brössler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: