Politik

Nahost-Experte zu Iran "Die Iraner teilen nicht den Israelhass des Regimes"

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Angehörige des Regimes sangen am Samstag im Parlament anlässlich des Angriffs auf Israel.

Angehörige des Regimes sangen am Samstag im Parlament anlässlich des Angriffs auf Israel.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Ein großer Krieg zwischen dem Iran und Israel scheint vorerst abgewendet. Aber wieso kann man davon ausgehen, dass der Iran solch einen Krieg nicht anstrebt? Der deutsch-iranische Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad über die Ziele des Regimes und was es fürchtet.

ntv.de: Geschätzte 170 Drohnen, mehr als 30 Marschflugkörper und 120 ballistische Raketen - die Massivität des iranischen Angriffs aus der Samstagnacht hat viele überrascht. Wie schmal ist der Grad, auf dem Iran balanciert gerade, zwischen Stärke zeigen und einen Krieg mit Israel riskieren?

Ali Fathollah-Nejad: Wenn wir uns den Militärschlag von Samstagnacht anschauen, sehen wir: Teheran hat die Amerikaner vorgewarnt, es war kein Überraschungsangriff. Es wurden hauptsächlich Drohnen eingesetzt, die sich gut abfangen lassen. Was der Iran nicht eingesetzt hat: keine Flut ballistischer Raketen, die Israel in 12 Minuten erreichen könnten, und keine Involvierung der Hisbollah, die mit ihrem Raketenarsenal von mehr als 150.000 Stück eine große Bedrohung für Israel ist. Dazu kursierten Bilder im Netz von Geschossen ohne Sprengköpfe. Kaum einer der abgeschossenen Flugkörper hat irgendein Ziel getroffen. Es war also viel Show dabei und hat der iranischen Seite ausgereicht, um einen großen Sieg zu proklamieren.

Der deutsch-iranische Politologe und Autor Ali Fathollah-Nejad hat als Nahost-Experte für internationale Thinktanks geforscht und ist Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG).

Der deutsch-iranische Politologe und Autor Ali Fathollah-Nejad hat als Nahost-Experte für internationale Thinktanks geforscht und ist Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG).

(Foto: Nassim Rad)

An wen war diese Sieges-Botschaft adressiert?

In erster Linie war es Ziel des Regimes, mit einer gesichtswahrenden Macht-Demonstration die eigene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen - in den Augen der Unterstützerbasis im eigenen Land, aber auch in der Region innerhalb der sogenannten Achse des Widerstands.

… Also die Hisbollah im Libanon, der Islamische Dschihad, Hamas, die Huthis im Jemen und Milizen aus Syrien und dem Irak …

Bei diesen Iran-Verbündeten und den inländischen Unterstützern hatte sich Frustration breit gemacht, weil die Iraner auf ähnliche israelische Anschläge in den vergangenen Monaten nicht reagiert hatten und auch der Hamas nicht so sehr zur Seite gesprungen waren, wie sie gehofft hatten.

Wenn Sie von inländischen Unterstützern sprechen, wie groß ist diese Basis? Können Sie da eine Hausnummer geben?

Da reden wir von 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung, die das Regime unterstützen. Nicht alle teilen auch ihre Ideologie, sondern manche profitieren einfach, politisch oder ökonomisch, und stehen daher hinter dem System. Die ideologischen Hardline-Unterstützer also waren zunehmend unzufrieden wie auch Irans Verbündete, denn seit Dezember hat Israel einen wichtigen Hamas-Offiziellen in Beirut ausgeschaltet, dann gab es im Januar den Anschlag auf den wichtigsten Kommandeur der Revolutionsgarden in Syrien. In den Augen der Unterstützer hat sich eine Kluft gezeigt zwischen feuriger iranischer Rhetorik und militärischer Zurückhaltung. Es ist nach diesen Tötungen nämlich wenig passiert.

Der Anschlag von Damaskus vor zwei Wochen war dann ein Wendepunkt?

An diesem Punkt hat das Regime kalkuliert: Jetzt müssen wir wirklich reagieren, aber so, dass kein großer Krieg vom Zaun bricht. Denn an einem Krieg gegen Israel und womöglich gegen die USA im Schlepptau ist der Iran nach wie vor nicht interessiert. Er würde die Regime-Sicherheit gefährden und den Iran viel kosten, militärisch und wirtschaftlich. Der Iran befindet sich noch immer in einer Wirtschaftskrise, die finanziellen Mittel sind begrenzt.

Was würde einen solchen Krieg für das Regime in Teheran so gefährlich machen?

Die USA sind die stärkste Militärmacht weltweit und Israel die wichtigste Militärmacht in der Region. Konventionell ist der Iran den beiden überhaupt nicht gewachsen, es wäre zumindest in dieser Hinsicht ein Kampf zwischen David und Goliath.

Selbst dann noch, wenn der Iran alle seine Mittel einsetzen würde - also schnelle eigene Raketen und vor allem die Unterstützung der Hisbollah, die mit ihren 150.000 Raketen an Israels Nordgrenze steht?

Nein. Iran kann gewiss der anderen Seite große Kopfschmerzen bereiten und auch immense Kosten aufzwingen. Unterm Strich aber macht Teheran sich keine Illusionen, dass es gegen Israel und die USA standhalten könnte. Vor allen Dingen aber hat es die Islamische Republik mit einer immensen Kluft zwischen Staat und Gesellschaft zu tun. Sie könnte im Kriegsfall nicht mit einer Bewegung der nationalen Einheit rechnen. Auf das, was die Amerikaner mit "rallying around the flag" bezeichnen - eine kurzfristige, massive Unterstützung des Staates in der Krise, könnte das iranische Regime definitiv nicht setzen. Mehr noch: Die obersten Sicherheitskreise im Land können das Risiko eines Aufstands im Zuge eines Krieges nicht ignorieren. Und auch im Sicherheitsapparat könnte es zu Abspaltungen und Konflikten kommen.

Klingt insgesamt so, als würde sich ein großer Krieg für den Iran zumindest jetzt wirklich nicht empfehlen.

Die iranische Gesellschaft weiß ganz genau, dass es einen eklatanten Unterschied gibt zwischen den Interessen des Regimes und den Interessen des Landes. Die Ziele des Regimes, seine Regionalpolitik bürden dem Land immense Kosten auf. Entsprechend gibt es keine Unterstützung für jedwede expansive Politik des Irans in der Region. Auch nicht mit Blick auf Israel. Die Bilder, die wir jetzt aus Teheran gesehen haben - Menschen, die den Angriff auf Israel auf der Straße feiern - das waren Leute aus der schon erwähnten Unterstützerbasis. Das ist nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung.

Zu Zeiten des Schah-Regimes in den 70ern hatten der Iran und Israel ein entspanntes Verhältnis. Große Teile der iranischen Bevölkerung sehen das demnach noch immer so?

Die Feindschaft mit Israel entstand mit der Revolution 1979, als die islamistischen Revolutionäre die Macht übernahmen und Israel zum Feindbild erkoren, als sogenannten kleinen Satan. Die USA waren der "große Satan". Es ist eine ideologische Feindschaft, keine unbedingt geopolitische. Die Iraner teilen nicht den Israelhass des Regimes.

Die Revolutionsgarden haben eine neue Leitlinie angekündigt: Dass sie ab jetzt, "wann immer das zionistische Regime unsere Interessen, Besitztümer, Individuen und Bürger angreift, wir von der Islamischen Republik Iran aus Vergeltung üben". Stellt das den Konflikt für die Zukunft auf eine neue Ebene?

Zunächst hat die iranische Botschaft bei den Vereinten Nationen proklamiert, dass mit dem Angriff von Samstagnacht die Operation abgeschlossen sei. Später sagte der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hossein Salami, dass die iranische Seite nunmehr eine neue Gleichung habe, mit der sie arbeiten würde, auf israelische Angriffe zukünftig auch vom iranischen Territorium aus zu reagieren. Man versucht so rhetorisch, den Preis für einen israelischen Vergeltungsschlag zu erhöhen. Inwieweit die Iraner das wirklich so handhaben würden, steht auf einem anderen Blatt, denn das birgt eine gewisse Gefahr. Aber es ist klar, dass sich die rules of engagement zwischen Israel und Iran, also wie man sich zueinander militärisch verhält, aufgrund dieses ersten direkten Angriffs Irans verändern. Wie stark diese Veränderung sein wird, das müssen wir abwarten.

Jordanien hat am Samstag Drohnen abgeschossen, die auf dem Weg nach Israel waren. Wie riskant ist das für den jordanischen König Abdullah? Der Iran hatte vorher gewarnt, aber er hat sich dem widersetzt.

Jordanien ist pro-westlich ausgerichtet, aber nicht unbedingt pro-israelisch. Zumal ein Großteil der jordanischen Bevölkerung Palästinenser sind, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Nun hat sich Jordanien quasi an der Verteidigung Israels beteiligt. Das ist bezeichnend dafür, dass man einen großen Krieg in der Region vermeiden will. Aber der iranische Angriff hat auch Sympathien geweckt, vor allem bei der arabischen Bevölkerung in der Region. Die sieht, der Iran ist der einzige Staat, der sich traut, Israel wirklich anzugreifen, auch im Zusammenhang mit dem Gazakrieg und dem Leid der Palästinenser dort. Da wird der Iran in einem gewichtigen Teil der Bevölkerung als Verteidiger der palästinensischen Sache wahrgenommen. Für jene arabischen Staaten, die Teheran kritisch gegenüberstehen, ist es aufgrund des Gazakriegs derzeit schwierig, sich öffentlich zu positionieren.

Positionieren ist ein gutes Stichwort: Wie sollte der Westen mit Irans Gebärden umgehen? Auch mit Blick auf sein Streben nach nuklearen Fähigkeiten?

Iran zeigt sich als wichtigster Destabilisator im Nahen Osten. Im Land selbst herrscht lediglich eine Scheinstabilität, zumal der langfristige revolutionäre Prozess, wie ich es nenne, im Gange ist. Die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft ist enorm und eine Reform des Systems eigentlich unmöglich. Deshalb fordere ich schon seit Jahren eine Zeitenwende auch in der Iran-Politik. Um Teherans aggressive Regionalpolitik einzudämmen, bräuchte es eine Koalition aus westlichen und auch regionalen Staaten, die geschlossen auftreten und auch agieren. Der Iran hat sein Atomprogramm in der Vergangenheit vorangetrieben und womöglich einen Schwellenstatus zur Atommacht erreicht. Die Internationale Atomenergie-Organisation beklagt, dass sie ihrem Mandat, das iranische Programm zu kontrollieren, kaum mehr nachgehen kann. Auch darum ist eine genaue Einschätzung schwierig. Teheran müsste allerdings noch Trägerraketen entwickeln, was uns etwa ein bis zwei Jahre Zeit geben könnte.

Ist da die Bedrohung durch die militärisch starke Hisbollah aus dem Libanon für Israel entscheidender?

Kurz- und mittelfristig, ja. Die ist ein großer Faktor, darum werden in Israel Diskussionen darüber geführt, ob man sie mit einem Präventivschlag schwächen sollte. Ich sehe allerdings nicht die Gefahr, dass der Iran die Hisbollah im Konflikt mit Israel komplett aktivieren würde. Denn die Hisbollah ist eine Art Lebensversicherung für die Islamische Republik, wenn es mal wirklich zu einem großen Krieg käme, bei der das Regime in Teheran direkt bedroht wäre. Da will es sein Pulver nicht ohne Grund schon vorher verschießen.

Mit Ali Fathollah-Nejad sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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