Politik

Reisners Blick auf die Front "Der Angriff Irans spielt Putin perfekt in die Hände"

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Putin empfing den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi im Dezember in Moskau.

Putin empfing den iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi im Dezember in Moskau.

(Foto: IMAGO/APAimages)

Der Angriff Irans auf Israel ist eine historische Zäsur - das findet auch Oberst Reisner vom österreichischen Bundesheer. Im Interview mit ntv.de erklärt er, warum diese Eskalation Putin und Russland in die Hände spielt und warum Israel sich zu einem Gegenschlag gezwungen sehen könnte.

ntv.de: Herr Reisner, was haben Sie gedacht, als Sie von dem iranischen Angriff auf Israel erfahren haben?

Markus Reisner: Wir haben ein historisches Ereignis gesehen. Noch nie hat ein Staat Israel derart massiv mit Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen angegriffen. Noch vor zwei Jahren wäre das unvorstellbar gewesen, dass sich die Lage so zuspitzen würde. Ich musste gleich an ein Ereignis von vor einigen Jahren denken. Nach der Tötung des hohen iranischen Generals Soleimani Anfang 2020 kam es zu einem Vergeltungsangriff der Iraner. Sie griffen die US-Luftwaffenbasis Al-Asad im Irak an. 11 Raketen schlugen fast punktgenau in diese Basis ein. Wir wissen heute, dass der damalige US-Präsident Donald Trump einen Gegenschlag führen wollte, seine Berater ihn aber davon abhielten. Ich habe damals schon gesagt, dass uns dieses Ereignis nicht egal sein kann.

Warum nicht?

Es zeigte, wie die Rolle der USA als Weltpolizist erodiert. Zugleich erkannte der Iran, was möglich ist. Als ich jetzt von dem iranischen Angriff gehört habe, war das für mich eine logische Konsequenz aus der kürzlichen Tötung iranischer Offiziere durch Israel, beziehungsweise aus diesem Ereignis vor vier Jahren. Seitdem veranlasste der Iran über seine Verbündeten noch weitere Angriffe auf US-Basen im Irak und in Syrien. Nun gab es den ersten direkten und eindeutig zuordenbaren Angriff auf Israel.

Der Angriff wurde eindeutig abgewehrt, der Schaden ist überschaubar.

Der Iran hat 185 Drohnen verwendet, die offenbar alle abgeschossen wurden. Außerdem wurden 36 Marschflugkörper abgefeuert, was eine eher geringe Zahl ist, und diese waren damit auch leichter abzufangen. Hinzu kamen 110 ballistische Raketen, von denen nur 7 tatsächlich ungehindert eingeschlagen sind. Das ist zwar nicht viel, dennoch hat der Iran gezeigt, dass er mit ballistischen Raketen durchaus das israelische Verteidigungsdispositiv überwinden kann.

Welche Botschaft sendet dieser Schlag? Ist es: "Wir hätten auch noch härter zuschlagen können, so wie damals auf die Luftwaffenbasis"?

Für den Iran war dieser Angriff die Reaktion auf die erwähnte Tötung mehrerer Generäle durch Israel in Damaskus. Anschließend teilte das Regime mit, dass die Sache aus seiner Sicht damit erledigt ist. Einerseits hat dieser Angriff also die Botschaft übermittelt, dass sie nicht bereit sind, Tötungen ihrer Generäle hinzunehmen. Das ist in der arabischen Welt wichtig, weil auch die Beziehungen zwischen den Staaten vom Recht des Stärkeren bestimmt werden. Andererseits hätte der Iran noch mehr Möglichkeiten gehabt, Israel zu schaden. Stellen Sie sich vor, der Iran hätte seinen Verbündeten wie der Hisbollah und anderen den Befehl gegeben, auch gegen amerikanische Basen in Syrien und im Irak vorzugehen. Dann hätten wir eine ganz andere Situation.

Wie ist der Angriff der Iraner nun zu deuten? War er gemäßigt oder macht er einen erneuten Gegenschlag aus israelischer Sicht zwingend erforderlich?

Das ist die zentrale Frage. Versetzen Sie sich einmal in die Lage Israels. Das Land ist innerhalb weniger Monate massiv angegriffen worden, mit dem Hamas-Massaker im Oktober und jetzt durch den Iran. Wie schon gesagt, es gilt das Recht des Stärkeren in dieser Region. Auch Israel muss jetzt zeigen, dass man nicht akzeptiert, dass der andere gegenüber einem selbst wirksam geworden ist. Israel muss sich jetzt entscheiden. Führt es einen massiven Gegenschlag durch, einen moderaten oder möglicherweise gar keinen? So fordern es die Verbündeten, allen voran die USA.

Aber was würde das bedeuten? Mit einem erneuten Gegenschlag Israels wären wir doch gleich wieder in der viel zitierten Spirale der Gewalt.

Völlig richtig, das wäre die Spirale der Gewalt. Zumal die Israelis mit einem massiven Gegenschlag, dem Iran so weit schaden müssten, dass er nicht zu einem noch härteren Angriff in der Lage wäre. Es gibt aber Zweifel daran, ob das überhaupt geht. In den vergangenen Jahren hat der Iran beispielsweise Produktionsstätten unter die Erde verlegt und teilweise auch vom Internet getrennt, um Cyberangriffe auszuschließen.

Wie würde ein moderater Angriff aussehen?

Eine moderate Antwort wären Angriffe auf symbolisch-bedeutungsvolle Ziele wie oberirdische Militärbasen oder kritische Infrastruktur. Es wäre aber natürlich nicht ausgeschlossen, dass der Iran dann wieder reagiert. Nach einem moderaten Angriff Israels wäre er dazu dann noch viel eher in der Lage als nach einer massiven Attacke.

Israel könnte aber auch einfach gar nichts tun. Das hätte den Vorteil, dass die Lage nicht weiter eskaliert.

Das fordern die Verbündeten, allen voran die USA. Die Frage wäre dann: Hätte Israel strategisch verloren? Hätte es nicht sein Gesicht verloren? Denn dann könnten die Iraner und die anderen Regierungen in der Region daraus schließen: Die Israelis sind zu mehr nicht in der Lage.

Oder: Israel zeigt Größe und behält einen kühlen Kopf.

Das würde hervorragend in unser europäisches Wertesystem hineinpassen. Ich befürchte aber, dass das in den Wertekompass der Region nicht hineinpasst. Es geht hier um reine Machtpolitik. Wir in Europa glauben immer an das Gute, haben auch aus unserer Geschichte gelernt. Aber in anderen Ländern sieht man das beinhart. Es geht um Projektion und Durchsetzung von Macht! Koste es, was es wolle!

Die israelische Armee ist der iranischen in vielen Bereichen überlegen. Aber ist das überhaupt relevant? Technologische Überlegenheit kann durch Masse aufgewogen werden, das sehen wir ja auch in der Ukraine.

Genau, das ist das Dilemma. Israel hat eine moderne, hochgerüstete Armee. Aber was ist, wenn es einen orchestrierten Angriff aus der Luft, aus dem Südlibanon, aus Syrien, Irak und Jemen und aus dem Gazastreifen heraus gäbe? Wie lange kann Israel dann durchhalten? Wie lange sind die Verbündeten dann gewillt und in der Lage, Unterstützung zu leisten?

Was wäre eigentlich, wenn Deutschland auf diese Weise angegriffen worden wäre?

Deutschland wäre nicht in der Lage, so einen Angriff abzuwehren. Deutschland hat keinen Iron Dome, kein David Sling, kein Arrow-Abwehrsystem und verfügt nur über elf Patriot-Abwehrsysteme, von denen nun das dritte der Ukraine geliefert werden soll. Natürlich darf man die USA und ihren europäischen Fähigkeitsbeitrag im Rahmen der NATO nicht vergessen, aber wir haben hier einen gleichzeitigen Angriff mit hunderten Marschflugkörpern, Drohnen und Raketen gesehen. Wir sind zwar nach dem Ukraine-Krieg hochgeschreckt, aber der Aufbau solcher Kapazitäten dauert lange Zeit. Daher versucht man Dinge wie das European Sky Shield aufzubauen. Israel ist fast permanent im Kriegszustand, daher hat es diese Fähigkeiten.

Wie ein Krieg zwischen Israel und Iran verlaufen würde, lässt sich kaum vorhersagen. Sicher erscheint aber, dass es viele Tote auf beiden Seiten geben würde. Getreu dem alten Spruch: Im Krieg gibt es keine Gewinner.

Leider fehlt in solchen Situationen oft diese Einsicht und Kriege schaukeln sich trotzdem immer weiter auf. Das Problem ist, dass die Länder des Globalen Südens immer mehr in der Lage sind, militärisch auf Augenhöhe mit den westlichen Armeen zu agieren. Die Überlegenheit westlicher Armeen gibt es so nicht mehr. Denken Sie an die Huthis. Dass so eine Gruppe gewissermaßen in Badeschlappen mit Hilfe von Technik auf Smartphone-Niveau und einfachen Waffen eine wichtige Handelsroute lahmlegen kann, ist eine Zäsur, die wir uns bewusst machen müssen.

Im Konflikt Iran-Israel spielen auch Atombomben eine Rolle. Wie weit ist das iranische Programm wirklich und wäre das Regime gewillt, sie einzusetzen?

Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass Israel Atomwaffen hat. Auch wenn es das nie zugegeben hat. Israel wird nicht davor zurückschrecken, diese einzusetzen, um zu verhindern, dass das israelische Volk ausgelöscht wird. Der Iran spricht Israel jede Existenzberechtigung ab. Israel steht aufgrund seiner geografischen Lage mit dem Rücken zur Wand. Der Iran versucht gleichzuziehen und hat ebenfalls ein Atomprogramm. Israel versucht das zu sabotieren, mit Cyberangriffen, Attentaten auf Wissenschaftler und im Extremfall mit Luftangriffen. Wie weit der Iran tatsächlich ist, bleibt unklar. Auch in dieser Hinsicht war der iranische Angriff aussagekräftig. Denn wenn nur eine von den sieben Raketen, die durchkamen, mit einem Atomsprengkopf bestückt gewesen wäre, hätte das eine verheerende Wirkung gehabt.

Man muss also auch hier auf ein Gleichgewicht des Schreckens hoffen.

Dort sind wir leider angekommen.

Iran und Russland sind verbündet. Nutzt oder schadet dieser Angriff Putin?

Dieser Angriff und eine mögliche Eskalation spielt Putin perfekt in die Hände. Je mehr die Lage im Nahen Osten zu Ungunsten von Israel eskaliert, desto mehr sind die USA gefordert, dort zu unterstützen. Das bindet Ressourcen, die im Zweifelsfall nicht für die Ukraine zur Verfügung stehen. Das könnte zum Beispiel für Patriot-Abwehrsysteme gelten. Die USA haben 60 Stück davon, aber bisher nur eins in die Ukraine geliefert. Das ist bestürzend und zeigt uns, wo wir stehen.

Wenn man davon ausgeht, dass im Nahen Osten vor allem das Recht des Stärkeren gilt, mit den drohenden Konsequenzen, die Sie beschrieben haben - wie kommt man da heraus?

Aus meiner Sicht braucht es Staatenlenker und -führer, die bereit sind, aufeinander zuzugehen und bereit und gewillt sind, einen Unterschied zu machen. Die Geschichte ist voller Beispiele, wo sich Völker einst gehasst haben und sich dann doch aufeinander zubewegt haben.

Wer könnte diese Rolle jetzt übernehmen?

Vielleicht bräuchte man jetzt einen jungen Kennedy. Einer der sagt, ich treffe mich mit Putin, meinetwegen in Belarus. Den gibt es aber leider nicht. Ich sehe niemanden in Europa, und in den USA auch nicht.

Immerhin glauben Sie noch daran, dass einzelne Politiker einen Unterschied machen können.

Ich glaube fest daran, sonst würden wir heute nicht hier sitzen. Denken Sie an Deutschland und seine Rolle im 20. Jahrhundert. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wären die Europäische Union und die deutsch-französische Aussöhnung undenkbar gewesen. Insofern kann Europa als Beispiel dienen, wie man nach Jahrhunderten blutiger Kriege zueinander finden kann.

Die Realität ist aber, dass wir alle paar Monate von einer neuen Eskalation überrascht werden.

Der Papst hat vor Kurzem einmal von einem Weltkrieg auf Raten gesprochen. Da hat er nicht Unrecht. Die Welt gerät aus den Fugen. Auch in Afrika gibt es große Kriege, von denen wir wenig mitbekommen. Russland baut dort seinen Einfluss immer weiter aus. Wir sind mehr und mehr in einem globalen Konflikt gefangen.

Mit Markus Reisner sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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