Klimaschutzgesetz „Das nimmt den Druck in Sektoren raus, die heute schon hinterherhinken“

Pendler in Berlin: Der Verkehr verfehlt seit Jahren seine Klimaschutzziele.   Quelle: Michael Kappeler/dpa

Die Koalition feiert sich für ihr neues Klimaschutzgesetz. Das aber setzt Fehlanreize, belohnt Zauderer und Blockierer. Am Ende kann es Deutschland teuer zu stehen kommen.

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Nach monatelangem Streit hat sich die Ampel-Koalition am Montag auf eine Neufassung des Klimaschutzgesetzes geeinigt. Wichtigste Änderung: Anders als im alten, noch von der Regierung Angela Merkels geschaffenen Gesetz sollen die einzelnen Bereiche wie Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Gebäude nicht mehr separat sanktioniert werden, wenn sie ihre Klimaschutzziele verfehlen. Nach dem bisher geltenden Gesetz mussten die zuständigen Minister Sofortmaßnahmen ergreifen, wenn ihr Sektor seine Jahresziele verfehlt hatte. Das sei „Planwirtschaft“ gewesen, hatten vor allem FDP-Politiker immer wieder argumentiert. 

FDP-Verkehrsminister Volker Wissing drohte Anfang der Woche gar, für seinen Bereich drohten „Fahrverbote an den Wochenenden“, wenn vor allem die Grünen ihren Widerstand gegen die Abschaffung der starren Sektorziele nicht aufgäben. 

Eine Drohung, die bei den Koalitionspartnern in Zeiten aufgeheizter Heizungsdebatten und Bauernprotesten offenbar verfing: Sie gaben ihren Widerstand auf. Nach der neuen Regelung muss Deutschland nun seine Ziele nur noch insgesamt erreichen; einzelne Bereiche, etwa der Verkehr, haben keine direkten Sanktionen mehr zu befürchten. Verfehlt ein Sektor seine Ziele, kann ein anderer Bereich, in dem bereits weniger CO2 emittiert wird als vorgegeben, das ausgleichen.

Mit der Kraft des freien Markts

Und auf den ersten Blick haben die Befürworter des neuen Gesetzes gute Argumente: Der Atmosphäre und dem Klima ist es letztlich egal, woher das klimaschädliche Kohlendioxid, CO2, stammt. Wichtig ist, dass dessen Menge insgesamt schneller sinkt. Ohne die Sektorziele könne das Geld für den Klimaschutz nun endlich wirksam dort investiert werden, wo es den größten Nutzen habe, sprich: wo pro Euro am meisten CO2 eingespart werden kann. So argumentiert zum Beispiel Lukas Köhler, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP. Und wahr ist, dass zum Beispiel die Kosten, eine Tonne CO2 im Verkehr oder in der Gebäudeheizung einzusparen, derzeit in der Regel sehr viel höher sind als in der Industrie oder der Stromerzeugung.

Das klingt vernünftig; in der Praxis aber dürfte das neue Gesetz kaum die Erwartung erfüllen, den Klimaschutz zu beschleunigen, ohne die Kosten dafür aus dem Ruder laufen zu lassen. Im Gegenteil: Auf die lange Sicht könnte es den Klimaschutz sogar bremsen und noch teurer machen, fürchten Experten. Auch ist völlig unklar, wie sich das neue deutsche Gesetz mit den Regelungen der EU verträgt, die weiterhin die CO2-Emissionen für die einzelnen Sektoren Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr ermittelt und sanktioniert.

Selbst wirtschaftsnahe Klimaschutzexperten sind skeptisch, dass das neue Gesetz so funktioniert, wie sich das seine Macher vorstellen: Bernd Weber, Chef und Gründer des Berliner Thinktanks Epico Klimainnovation etwa. Das neue Gesetz folge zwar einer recht „stringenten theoretischen ökonomischen Logik, das heißt aber nicht, dass es auch praxistauglich ist“, bemängelt Weber.

Alle sind zuständig, aber niemand verantwortlich

Schwierig findet Weber es vor allem, die schon jetzt viel zu langsam CO2 reduzierenden Sektoren Gebäude und Verkehr aus einer direkten Verbindlichkeit zu entlassen. „Grundsätzlich ist mehr Flexibilität zwar richtig. Bei der Frage etwa, wie genau und mit welchen Technologien ein einzelner Sektor seine Klimaziele erreichen will, sollte sich der Staat nicht zu detailgenau einmischen“, findet Weber. Die Abschaffung aller sektorspezifischen Kontrolle aber setze einen Fehlanreiz: „Wer verschiebt und aufschiebt, wird belohnt, wer investiert hat und seine Emissionen schneller gesenkt hat, muss die Nachzügler mitziehen. Am Ende landen wir in einer Welt, in der in der Regierung alle zuständig sind, aber niemand mehr für etwas Konkretes verantwortlich.“

Zwar ist richtig, dass es derzeit etwa im Verkehr schwieriger und deshalb teurer sei als etwa in der Stromwirtschaft oder in vielen Industriebereichen, CO2 zu mindern. Das aber könnte sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch drastisch ändern. „Auch beim Umbau der Stromerzeugung werden die letzten Prozente CO2-Vermeidung wesentlich teurer sein als die ersten“, sagt Weber; die Energiewirtschaft sei gut 20 Jahre früher in den Klimaschutz gestartet als der Verkehr. „Es kann gut sein, dass wir in einigen Jahren nicht mehr so klare Vorreitersektoren haben, von deren Klimaschutz-Erfolgen die Nachzügler dann profitieren können.“

Sorgenkind Verkehr

Gerade auf die CO2-Emissionen der Bereiche Verkehr und Gebäude könnte sich das neue Gesetz verheerend auswirken, fürchten andere. „Der Ampel-Kompromiss nimmt den Druck nun ausgerechnet in Sektoren raus, die heute schon hinterherhinken“, kritisiert Simon Müller, Deutschlandchef des Thinktanks Agora Energiewende. „Damit läuft Deutschland Gefahr, die Verkehrs- und Wärmewende weiter zu verschleppen.“

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So hat der Verkehr bisher als einziger Sektor seine CO2-Emissionen gegenüber 1990 nicht nennenswert gesenkt. Nur einmal – im Corona-Jahr 2021 ­– ist das bisher gelungen. Allerdings machte der Rebound-Effekt danach alle Bemühungen wieder zunichte. „Es gibt zu viele steuerliche Fehlanreize wie das Dienstwagen-Privileg“, bemängelt Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende im Expertenrat Klimafragen; der Ausbau langfristig wirksamer Maßnahmen wie Schiene, ÖPNV und E-Mobilität gehe hingegen viel zu langsam.

Hinzu kommt, dass Teile der Klimaschutzerfolge der anderen Bereiche, vor allem der Stromwirtschaft, die die Ampel nun mit den zu hohen Emissionen von Verkehr und Gebäudeheizungen gegenrechnen will, nicht nachhaltig sind. „Unsere Analyse zeigt, dass ein großer Teil der jüngsten Erfolge der Energiewirtschaft auf die konjunkturbedingt geringere Stromnachfrage zurückgeht, und nicht auf langfristige CO2-Vermeidung durch den Ausbau von erneuerbaren Energien“, sagt Agora-Direktor Müller. Ähnlich ist das Bild in der deutschen Industrie, die unter hohen Energiepreisen und einer schwachen Konjunktur litt, entsprechend weniger Energie nachfragt und vor allem deshalb ihre Klimaziele zuletzt übererfüllt hat.

Zieht die Konjunktur also wieder an und damit die Nachfrage nach Strom, dürfte auch der CO2-Ausstoß des Energie- und Industriesektors wieder steigen, fürchtet Müller. Schlimmer noch: „Wenn man nun längst überfällige Maßnahmen im Verkehr weiter aufschiebt, weil keine sektorspezifischen Nachsteuerungspflichten mehr bestehen, macht das langfristig auch das Erreichen der Klimaneutralität 2045 schwieriger und teurer“, sagt Müller.

Kollision mit der EU droht

Eine ganz andere Frage ist, wie sich das Ampel-Vorhaben eigentlich mit den geltenden EU-Regulierungen zu CO2-Emissionen vertragen soll. Denn nach der europäischen Klimaschutzverordnung gelten weiterhin verbindliche CO₂-Reduktionsziele für die einzelnen Sektoren, wie Gebäude und Verkehr – beim Verfehlen dieser Sektorziele drohen Strafen. Es sei gut möglich, dass Deutschland insgesamt zwar seine CO2-Reduktionsziele erreiche, „aber der Verkehr oder der Gebäudesektor die entsprechenden EU-Ziele verfehlen“, sagt Epico-Gründer Weber.

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Deutschland müsste dann CO2-Zertifikate im Rahmen des sogenannten ESR (Effort Sharing Regulation) für Verkehr von anderen Staaten kaufen, die ihre Verkehrsziele übererfüllen, etwa Bulgarien. Das haben die Ampel-Politiker durchaus einkalkuliert, in der Hoffnung, das könne die billigere und einfachere Lösung gegenüber langsamen und teuren Maßnahmen wie mehr E-Autos, ÖPV oder Wärmepumpen sein. Es ist aber unsicher, ob andere Mitgliedstaaten später überhaupt noch Zertifikate übrig haben, gibt Müller zu bedenken. Das böse Erwachen drohe daher „am langen Ende, wenn auch andere Länder merken, dass die Ziele etwa im Verkehr zunehmend schwerer zu erreichen sind“, sagt Weber von Epico. Dann drohen im schlimmsten Fall Strafzahlungen. „Das wäre dann wirklich das am schlechtesten investierte Geld“, sagt Weber, „jede Maßnahme, die physisch CO2 vermeidet, wäre besser als das.“

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