Klimaschutzgesetz „Die bittere Wahrheit: Es fehlt den Verantwortlichen an politischen Anreizen“

Quelle: REUTERS

Die Ampelregierung will die CO2-Ziele für einzelne Sektoren wie Industrie, Gebäude oder Verkehr abschaffen. Kritiker zürnen, das nehme den Druck aus dem Klimadiskurs. Eine Scheindebatte, sagt der Klimapolitikexperte Christian Flachsland.

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Herr Flachsland, die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes zieht viel Kritik auf sich. Vor allem das Ende der CO2-Ziele für die einzelnen Sektoren Industrie, Energiewirtschaft, Gebäude  und Verkehr wurde stark kritisiert. Zurecht?
Christian Flachsland: Ich glaube, die Wirksamkeit dieser Sektorziele wird überschätzt. Denn nominell rechtlich verbindliche Ziele allein können eine Regierung oder ein Ministerium nicht zum Handeln zwingen, wenn die politischen Anreize zu schwach sind, etwa ein Reputationsschaden bei Verletzung der Ziele. Abgesehen davon, dass die Sektorziele etwas einseitig kommuniziert werden.

Inwiefern? 
So richtig starr sind sie ja auch unter dem derzeit noch geltenden Gesetz nicht. Wenn ein Sektor seine CO2-Ziele riss, konnte die Bundesregierung auch bisher schon bei den Sektorzielen nachjustieren. 

Aber nur im begrenzten Rahmen. Durch die komplette Abschaffung separater Ziele und Sanktionen befürchten nun viele, dass die ohnehin hinterher hinkenden Bereiche wie der Verkehr erst recht keine Anstrengungen mehr unternehmen.
Das wäre naheliegend. Ich weiß nur nicht, ob es diesen vermuteten Mechanismus in dieser Form überhaupt gibt. Dass rechtliche Vorgaben allein keine Verhaltensänderungen bewirken, wurde in den vergangenen Jahren ja von den jeweiligen Verkehrsministern in kaum zu überbietender Deutlichkeit demonstriert.

Christian Flachsland Quelle: PR

Zur Person

Dass jemand die gesetzlichen Pflichten ignoriert, ist aber noch lange kein Grund, sie einfach abzuschaffen.
Man kann aber überlegen, ob es nicht bessere Methoden gibt, das Ambitionsniveau von Klimapolitik zu erhöhen. Die Klimaziele für die einzelnen Sektoren waren ja nicht nur falsch und schlecht; immerhin schufen sie erstmal Transparenz darüber, in welchen Sektoren es Fortschritte bei den Emissionsreduktionen gab. Aber ein Zwang zur Handlungsänderung ließ sich daraus ganz offenkundig nicht ableiten. Die bittere Wahrheit ist doch: Es fehlt bei nicht wenigen Verantwortlichen an den politischen Anreizen dazu; und ohne die wird es schwierig, wenn nicht unmöglich, ambitionierte Maßnahmen im Einklang mit unseren Klimazielen einzuführen.

Was könnte helfen?
Wirksamer als rein formale Sektorziele wäre mehr sektorübergreifende Vorbereitung von Politikmaßnahmen, dabei müsste die wissenschaftliche Evidenz hinsichtlich ihrer Wirksamkeit eine größere Rolle spielen.

Die Bundesregierung hat sich bei zwei wichtigen Gesetzen geeinigt, die über den Pfad Deutschlands beim Klimaschutz entscheiden. Vieles wird dadurch aufgeschoben statt angepackt. Ein Kommentar.
von Cordula Tutt

Das klingt ein wenig defätistisch.
Nicht unbedingt. Es kommt viel auf die CDU an, die ja mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die nächste Bundesregierung anführen wird. Schwarz-Grün, Schwarz-Rot und andere Konstellationen sind denkbar. Um es konkret zu machen: Wenn die Grünen kritisieren, dass der Verkehr einfach nicht in die Puschen kommt, dann müssen sie sich beim nächsten Mal stärker um das Verkehrsministerium bemühen als bei den Ampel-Koalitionsverhandlungen – auch wenn das politisch nicht allzu attraktiv sein mag. Man darf bei allen Problemen auch nicht vergessen, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren Energien große Fortschritte gemacht haben und wir Klimapolitik in Deutschland ernsthaft überhaupt erst seit 2019 verfolgen.

Aber die zweite Hälfte einer Transformation ist meistens anstrengender und zäher als die erste. 
Auch das stimmt, ist aber kein Grund zu zaudern. In der CDU gibt es zum Beispiel viele, die eine marktwirtschaftliche Lösung wie den CO2-Preis positiv sehen. Das ist meiner Meinung nach unter Abwägung aller Vor- und Nachteile das beste Instrument, das durch gezielte sektorale Maßnahmen ergänzt werden kann.

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Bis der CO2-Preis eine kritische Höhe überschreitet. Dann dürften sich die Reihen seiner Anhänger schnell lichten.
Diese Gefahr besteht natürlich – auch auf EU-Ebene. Der europäische CO2-Zertifikatehandel ETS ist ein ungemeiner Erfolg, er muss in seiner Struktur unbedingt erhalten bleiben. Im Fall stark steigender Preise ist er jedoch perspektivisch in Gefahr – nicht nur durch Rechtspopulisten. Deswegen brauchen wir rasch vorbeugende Maßnahmen, damit es gar nicht erst so weit kommt. Neben einem sozialen Ausgleich durch Rückverteilung der Einnahmen etwa einen Preiskorridor, der jetzt schon im deutschen Emissionshandelssystem angelegt ist und im kalifornischen System bereits eingeführt wurde. Das wäre zwar aus Klimasicht ein Kompromiss, aber einer, mit dem sich leben ließe und der am Ende ambitioniertere Klimapolitik ermöglichen könnte.

Lesen Sie auch: Die Bundesregierung bleibt konkrete Vorschläge schuldig

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