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Jens Radü

Die Lage am Abend Was Schweizer Milliardäre so an Steuern zahlen

Die drei Fragezeichen heute:

  1. Vermögensteuer – was zahlen eigentlich Schweizer Milliardäre?

  2. Putins Krieg – warum gibt es in Russland so wenig Protest gegen den Kreml?

  3. Fußballdramen – was ist der perfekte Cocktail für den Titel?

Podcast Cover

1. Von der Schweiz lernen

»Grüezi«? Ganz falsch. Ich war ein paar Tage in der Schweiz, in Bern, da sagt man: »Grüessech«, wobei das »ch« im Hals raspeln muss wie der Appenzeller an der Käsereibe. Was ich noch gelernt habe: Gegen 16.30 Uhr beginnt in der Schweiz die vierte Tageszeit, der Apéro. Weißwein in der Frühlingssonne, dazu Nüssli und Canapés, im Hintergrund haben sich pittoresk ein paar Berge platziert. Savoir-vivre auf Schwyzerdütsch. Das mit der Lebensart können sie da unten, abär öppe scho!

Doch nicht nur das: Auch mit seinen Superreichen geht das Alpenland offenbar, nun ja, herzhafter um als wir. Denn in der Schweiz gibt es eine Vermögensteuer. 32 Prozent beträgt dort die effektive Steuer- und Abgabenlast, schreibt mein Kollege David Böcking in seiner Geschichte . Das erscheint erst einmal moderat, aber im Vergleich zur Mittelstandsfamilie (im Schnitt 15 Prozent Belastung) müssen die Chalet- und Jetbesitzer der Schweizer Geldelite tief in die maßgeschneiderte Tasche greifen. Und in Deutschland? Ist die Vermögensteuer seit 1997 ausgesetzt.

Würde das Schweizer Modell hier gelten, brächte das jährlich rund 73 Milliarden Euro mehr, so eine aktuelle Studie. Die kämen gerade recht: »Die Wirtschaft schwächelt und damit auch die Steuereinnahmen, da wächst das Interesse an neuen Geldquellen«, schreibt mir David. Ist so eine Milliardärsabgabe denn realistisch? Trotz FDP und Ampelstreit? David antwortet mit dem metaphorischen Blick zum Horizont: »Auch die internationale Mindeststeuer für große Unternehmen war zunächst wenig mehr als eine Idee – Anfang dieses Jahres wurde sie nun eingeführt.«

  • Was noch in der Studie steht und warum die Österreicher dabei noch schlechter abschneiden, lesen Sie hier.

2. Putins Lügenwaffe

Als die kleine Renate gerade geboren war, heulten die Sirenen. Ihre Mutter, kaum erholt von den Strapazen im Kreißsaal, packte das Bündel Mensch und eilte mit all den anderen in den Schutzkeller. Fliegeralarm. Es war der 18. April 1944, und das Mädchen war meine Mutter (Herzlichen Glückwunsch by the way).

Heute, 80 Jahre später und nur 1500 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, sind solche Szenen wieder Alltag in Europa. Klar, die Vorzeichen sind komplett verschieden: Damals war es Weimar, und mit den Bomben der Alliierten wurde Hitlers Naziregime bekämpft. In der Ukraine sind es russische Drohnen und Raketen, die in Putins perfidem Angriffskrieg auf die Städte regnen, erst gestern starben mindestens 17 Menschen in der Stadt Tschernihiw. Die Kriegsmaschine, sie rollt und walzt, schluckt Menschen und spuckt Leichen aus. Auch wenn gerade niemand hinschaut. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist deswegen heute überraschend nach Kiew gereist. Um ein Zeichen zu setzen: »Ja, die Ukraine kämpft für ihre eigene Selbstbestimmung«, sagte er bei seiner Ankunft. »Aber sie kämpft eben auch für die Werte, die Europa eint und ausmacht.« Für uns.

Die Bundesregierung hat zuletzt beschlossen, weitere Patriot-Luftabwehrsysteme zu liefern. Immerhin. Um das ganze Land zu schützen, bräuchte die Ukraine 25 davon, rechnet Präsident Wolodymyr Selenskyj vor. Doch Putin greift nicht nur aus der Luft an. Mit Fake-Accounts auf Social-Media-Kanälen versucht eine prorussische Cyberarmee, Menschen in Deutschland gegen die Ukraine aufzuhetzen. Das Ziel: die Europawahl zu manipulieren. Mehr als 200.000 Kurznachrichten werden an manchen Tagen abgesetzt, ein regelrechtes Trommelfeuer.

Meine Kollegin Lina Verschwele hat dazu den britischen Autor Peter Pomerantsev interviewt, es geht um Desinformationskampagnen und Putins Kalkül. Warum gibt es in Russland vergleichsweise wenig Protest gegen den Kriegskurs? Pomerantsevs These: »Die Menschen genießen diese Rolle: ›Alle sind gegen uns. Aber wir werden sie fertig machen.‹ Es gleicht die Minderwertigkeit aus, die man vielleicht empfindet. Aufgrund der Geschichte, der eigenen Eltern, oder was auch immer«.

  • Welche Waffen im Informationskrieg noch zum Einsatz kommen und wie man sie abwehren kann, lesen Sie hier .

3. Zwölfmeter

Disclaimer: Ich bin zwar in Dortmund geboren, aber das Olé-Olé-Gen von König Fußball hat mich knapp verfehlt (dafür besitzt meine Schwester eine BVB-Dauerkarte. Und sie lebt in Stuttgart…). Müsste ich Spiele kommentieren, ich würde wohl vor lauter Unbeholfenheit vom »kreisrunden Leder« sinnieren, dem »Runden«, das ins »Eckige« muss, »Schiri, ans Telefon«, kurz: Das kann niemand wollen.

Ich stehe deshalb nur staunend am Spielfeldrand und bewundere, wie meisterhaft meine Kollegen vom Sport-Ressort die Höhen und Tiefen in diesem Zirkus aus Toren, Taktik und Testosteron nachzeichnen: mein Kollege Ron Ulrich etwa. Er hat – mit Abstand zur Trubelfeier am Wochenende und kühlem Kopf – rekonstruiert, wie Bayer Leverkusen die frühzeitige Meisterschaft gelingen konnte, eine sportliche Exegese des »Masterplans für den Titel«. Sein Fazit: Es ist ein Cocktail aus drei Zutaten, gut geschüttelt und eiskalt serviert. Ich verrate hier natürlich nicht das genaue Rezept, das müssen Sie schon selbst nachlesen .

Wenn Sie überhaupt dazu kommen, schließlich ist der Ball längst wieder im Spiel, Diagonalpass zum FC Bayern München, der gestern Abend ins Halbfinale der Champions League eingezogen ist, trotz Trainer-Getuchel und Formgestrauchel . Auch der BVB steht in der Runde der letzten vier, es ist eine Fußballwoche, so dramatisch inszeniert wie ein Blockbuster von Roland Emmerich. Dräut nun etwa ein »German Endspiel« in Wembley? Am 1. Juni wird das Finale angepfiffen, 21 Uhr. Bei Emmerich gibt es ja nach vielen Rückschlägen und Katastrophen immer ein Happy End. Fragt sich nur, für wen. Ich ahne, dass ich am 1. Juni mal meine Schwester anrufen sollte.

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Iran verkauft so viel Öl wie seit sechs Jahren nicht mehr: Der Westen diskutiert verschärfte Sanktionen gegen Iran, doch das Regime in Teheran hat es Daten zufolge geschafft, die Ölexporte des Landes auf ein Sechsjahreshoch zu steigern. Besonders ein Land agiert als Großabnehmer.

  • Geldvermögen privater Haushalte steigt auf Rekordwert: Gestiegene Börsenkurse und höhere Zinsen haben für einen Anstieg des Geldvermögens in Deutschland gesorgt. Anleger und Sparer kommen laut Bundesbank inzwischen auf 7,716 Billionen Euro.

  • Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Ex-Landrat ein: Nach der Flutkatastrophe 2021 gab es massive Kritik an CDU-Politiker Jürgen Pföhler. Nun hat die Staatsanwaltschaft entschieden: Der ehemalige Landrat des Kreises Ahrweiler wird nicht angeklagt.

  • Auswärtiges Amt bestellt russischen Botschafter ein: Die mutmaßlichen russischen Spionageaktivitäten in Deutschland haben erste diplomatische Folgen. Das Auswärtige Amt will nun Russlands Vertreter in Berlin vorladen.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Wir brauchen einen Arzt!

Durfte? Musste? Entscheiden bitte Sie, welches Verb im folgenden Satz besser passt: An meinem ersten Tag als Zivildienstleistender im Krankenhaus _____ ich assistieren, als bei einem alten Mann ein Harnröhren-Katheter gesetzt wurde. Als ich das Jobprotokoll meiner Kollegin Helene Flachsenberg las, stieg mir direkt wieder der betörende Ambulanz-Geruchscocktail aus Desinfektionsmittel und Filterkaffee in die Nase: Helene hat die 29-jährige Olivia Eckart getroffen, die seit einem Jahr in einer Berliner Klinik in der Urologie arbeitet. Und nein, sie hat nicht nur Prostatapatienten: Schließlich geht es auch um die »harnbildenden und harnableitenden Organe« und die Nieren. Und die haben wir ja alle. Mein Lieblingssatz, Stichwort Bereitschaftsdienst: »Wenn man Pech hat, klingelt im Minutentakt das Telefon, und in der Rettungsstelle wartet ein Patient mit einer Nierenkolik oder einem verdrehten Hoden.« In meiner Zivi-Zeit galten die Urologen übrigens als die sonnengebräunten Schönlinge unter den Ärzten mit Porsche-Boxster vor der Tür. Ob das noch immer so ist?

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Führende Sozialdemokraten fordern neues Sondervermögen: Die SPD sucht die Konfrontation mit der FDP: Nach SPIEGEL-Informationen sprechen sich führende Genossen für eine Reform der Schuldenbremse aus – und ein weiteres Sondervermögen, auch für das Innenministerium .

  • »Ein Krieg mit Iran kann innerhalb von 24 Stunden Abu Dhabi oder Dubai zerstören«: Iran hat zuletzt 300 Drohnen und Raketen abgefeuert. Und wenn es beim nächsten Mal 2000 sind? Der frühere Obama-Berater Vali Nasr spricht über die Lage in Nahost und sagt, wie Teheran noch von der Atombombe abgehalten werden kann .

  • Wenn die KI behauptet, ein Kind zu haben: In manchen Facebook-Gruppen diskutiert mittlerweile Metas Chatbot mit. Reagieren Menschen nicht schnell genug auf eine Frage, schaltet er sich ein. Seine Antworten können allerdings verstörend ausfallen .

  • »Die Dosis macht das Gift«: Seit dem Hype um Stanley-Cup-Thermobecher schütten viele Menschen etliche Liter Wasser am Tag in sich hinein. Ökotrophologin Merle Schonvogel erklärt, ab welcher Menge das gefährlich wird .

Was heute weniger wichtig ist

Let it be: Sean Ono Lennon (48) und James McCartney (46), Sie ahnen es, die Söhne der beiden Beatles-Bandmates, haben einen gemeinsamen Song veröffentlicht. »Primrose Hill« klingt mit tänzelnden Akustikgitarren und Satzgesang ein bisschen wie Simon & Garfunkel auf Neurexan, aber was weiß ich schon. »Der Release dieses Songs gibt mir das Gefühl, dass wir den Stein ins Rollen gebracht haben«, schreibt James McCartney auf Instagram. Moment mal, rollende Steine, Rolling Stones – plant da etwa jemand eine feindliche Übernahme? Ob-La-Di-Ob-La-Da.

Mini-Hohlspiegel

Aus dem »Donaukurier«:
»Sowohl das Schlossmuseum als auch das Stadtmuseum haben am Karfreitag und am Wochenende geöffnet sowie zusätzlich auch am Ostermontag, da dieser Feiertag auf einen Montag fällt.«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Klaus Stuttmann

Und heute Abend?

Gras unter dem Gras: Sie kennen das sicher, 6000 Hektar Garten, ein Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert – und dann tropft es durchs Dach. Shocking. Auftritt sich räuspernder Butler: »Schlechte Nachrichten, Sir«. Tea time verhagelt. Willkommen in der Welt der klammen englischen Aristokratie: viel Land, wenig Bargeld. Guy Ritchie (genau, der Ex-Mann von Madonna) inszeniert in diesem Milieu die hinreißende Serie »Gentlemen« (Netflix). Sein (fiktiver) way out für die Lords und Ladys: Der verarmte Adel lässt auf seinem Besitz ein Drogenkartell unterirdische Cannabisfelder anlegen – und kassiert dafür Provision. So auch im Herzogtum Halstead: Eddie (Theo James) erbt das väterliche Anwesen. Und ist plötzlich mittendrin in der Gangsterwelt von Schrotflinten, getunten Lamborghinis und Blutrache. Seine kriminelle Geschäftspartnerin: Unterweltsgröße Susie Glass, gespielt von Kaya Scodelario, der Duke und die Villain. Die Serie ist ein Spin-off von Ritchies spektakulär besetzter Verbrecherkomödie »The Gentlemen« (Matthew McConaughey als Boss, Hugh Grant als schmieriger Enthüllungsjournalist) von 2019 – und (fast) ebenso gelungen. Also, schenken Sie sich heute Abend doch einen doppelten Gin Tonic ein und: dödöm. (Netflix-Sound)

Was fehlt: Und noch eine Buchempfehlung, auch wenn es eher ein dunkles Thema ist: Meine Kollegin Katrin Seyfert schreibt bei uns über ihr Leben als Witwe. Ihr Mann ist nach langer Alzheimererkrankung gestorben. Nun hat sie ein Buch veröffentlicht , das ich Ihnen ans Herz legen will: Lückenleben.

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Katrin Seyfert

Lückenleben

Ein SPIEGEL-Buch: Mein Mann, der Alzheimer, die Konventionen und ich
Verlag: DVA
Seitenzahl: 256
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02.05.2024 04.02 Uhr

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Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Jens Radü, Chef vom Dienst

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