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Spielverfilmung »Fallout« Okidoki zur nächsten Staffel

Die Atomapokalypse »Fallout« ist wenige Tage nach Veröffentlichung so erfolgreich, dass sogleich die nächste Staffel beschlossen wurde. Der Computerspieladaption gelang, was nicht oft passiert: Sie fesselt sowohl Geeks wie Laien.
Ella Purnell als Lucy in »Fallout«: Nicht gerade zimperlich

Ella Purnell als Lucy in »Fallout«: Nicht gerade zimperlich

Foto: Jojo Whilden / Prime Video

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Vielleicht kann die fröhlich-pragmatische Lucy deshalb so gut mit der Kettensäge umgehen, weil sie im Schutzbunker 33 gern mit ihrem Vater gegärtnert hat. Gerade hat ein sterbender Mann die junge Frau gebeten, sie möge ihn post mortem enthaupten. Lucy reißt harmlos die Augen auf, der Blick naiv, die langen Haare glänzen gepflegt, die blaue Uniform im Fünfzigerjahre-Chic sitzt perfekt. Innerlich ist Lucy allerdings zum Äußersten bereit. Also piepst sie ihr niedliches »Okidoki« und schreitet zur Tat.

Zombie-Cowboy (Walton Goggins): Westernflair für die Atomapokalypse

Zombie-Cowboy (Walton Goggins): Westernflair für die Atomapokalypse

Foto: Amazon

Ganz gleich, ob Lucy nun jemandem den Kopf abtrennt und diesen an den Haaren baumelnd durch die Wüste schleppt. Oder Sex mit einem fremden Mann anbahnt, um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Bei Lucy ist fast alles: Okidoki.

Atomkrieg und Zombies, brutaler Splatter und schwarzer Humor: Gut eine Woche nach Veröffentlichung auf Amazon Prime steht die Serie »Fallout« in mehr als hundert Ländern auf Platz eins des Streaminganbieters. So auch in Deutschland. Sie soll zu den drei meistgesehenen Titeln aller Zeiten gehören, die Fortsetzung wurde deshalb in Rekordzeit entschieden: Eine zweite Staffel sei beschlossen, teilte Amazon mit.

Roboter, Autos, Toaster, Spielzeug: In »Fallout« ist alles atombetrieben

Roboter, Autos, Toaster, Spielzeug: In »Fallout« ist alles atombetrieben

Foto: Jojo Whilden / Prime Video

Zum Glück – denn »Fallout« ist spaßige Satire und spannende Action zugleich. Vorlage war die gleichnamige Computerspielreihe, die in den letzten 27 Jahren wohl Millionen Menschen dazu brachte, sich stunden- und tagelang in sie zu versenken.

Games sind heikler Serienstoff

Die Handlung spielt in einer alternativen Realität in der Zukunft, in der Atomkraft für alles genutzt wird, das Internet hingegen gibt es nicht. Kulturell und ästhetisch scheint die Entwicklung in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts stehengeblieben zu sein. Die Szenerie ist jedoch düster: Im Jahr 2077 hat ein Atomkrieg die Zivilisation an der Erdoberfläche weitestgehend zerstört. Einige privilegierte Gesellschaftsschichten konnten unterirdisch entkommen, sie führen in ihren Bunkern seit Generationen ein spießbürgerlich heiles Leben und ahnen wenig von den Zuständen an der verseuchten Oberfläche.

Dort, in der wahren Welt, regiert unter Überlebenden und Mutanten das Recht des Stärkeren: Letzte verrohte Menschen wehren sich gegen Militärs mit atombetriebenen Kampfrobotern, gegen Untote, die sich von Chemikalien ernähren, oder gegen aggressive Riesenkakerlaken.

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Das »Fallout«-Universum ist riesig, es gibt diverse Fortsetzungen und Ableger, die zu unterschiedlichen Zeiten spielen und ihre Geheimnisse und Charaktere bergen. Es gibt Hunderte Seiten starke Wikis, in denen sich Spieler über die Details der Spiele austauschen. Ihre Themen sind so zahlreich, weil »Fallout«-Spiele offen konzipiert sind: Spielerinnen und Spieler bewegen sich darin, wie sie möchten, jeder erlebt das Rollenspiel anders. Demgegenüber stehen lineare Spielverläufe, etwa in »The Last of Us«, das im vergangenen Jahr mit Pedro Pascal und Bella Ramsey als Serie verfilmt und von der Kritik hochgelobt wurde.

Die Fangemeinde der »Fallout«-Spiele erklärt zum einen das große Interesse an der neuen Serie. Netflix und Prime wollen dieser Zielgruppe etwas bieten, schließlich ist die Gamingbranche längst die umsatzstärkste Unterhaltungsindustrie.

Zum Horror trällert Johnny Cash

Andererseits sind Spieleverfilmungen heikles Terrain. Gamer gelten als kritisches Publikum, das eine zu freie Interpretation ihrer Lieblingsstoffe nicht gern sieht. Sogar die gelungene Serie »The Last of Us« bekam Shitstorms aus der Community.

In den acht Folgen hat das Produzenten-Duo und »Westworld«-Erfinder Jonathan Nolan und Lisa Joy den schmalen Grat zwischen kreativer Adaption und zahlreichen Anspielungen auf die Vorlage so gut ausbalanciert, dass sich selbst Geeks in ihren Foren begeistert äußern.

Gleichzeitig ist alles Vorwissen verzichtbar. Wer das Spiel nicht kennt, kann sich in ein skurriles Universum entführen lassen, das mit jeder Episode komplexer wird und schließlich Züge eines Politthrillers bekommt.

Lucy (Ella Purnell) aus Schutzbunker 33 tapst in die Horrorhandlung mit der Geisteshaltung und Ästhetik eines Eisenhower-Amerikas hinein. Rockabilly-Flair, nuklear betriebene Toaster und sorglose Gemüter – das wirkt schön trashig und bizarr angesichts der brutalen Handlung.

Mit fortschreitendem Stilmix wird die Postapokalypse langsam, aber sicher urkomisch. Roboterhafte Hightech-Kampfanzüge des Militärs bringen der Serie ein wenig »Star Wars«-Flair (sie hören sich sogar an wie Darth Vader), ein nasenloser Zombie mit Cowboyhut streut die Westernakzente hinein.

Die schönste ironische Brechung des Sci-Fi-Horrors ist allerdings die Musik. »I don’t want to set the world on fire« singt die Fünfzigerjahre-Gruppe Ink Spots zur brennenden Kulisse. Und während Menschen und Mutanten sich weiter kloppen, trällert irgendwo im Hintergrund der gute alte Johnny Cash.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes haben wir einen im Spiel-Universum falschen Zeitpunkt des Atomkrieges genannt. Tatsächlich findet dieser im Jahr 2077 statt. Wir haben den Fehler korrigiert.