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Album der Woche mit Sorry3000 Die wollen uns einen (Tanz-)Bären aufbinden!

Auf dem bestem Weg zur Lieblingsband: Sorry3000 aus blicken in ihrem Post-NDW-Entwurf mit unapologetischem Humor auf die deutsche Spießgesellschaft. Und: Fanservice von Pearl Jam.
Indiepopband Sorry3000

Indiepopband Sorry3000

Foto: Sophia Küstenmacher

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Album der Woche:

Sorry3000 – »Grüße von der Überholspur«

Es bleibt ja zum Glück nicht viel vom ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn, aber ein Satz von ihm wird es wohl in die Geschichtsbücher schaffen: »Wir werden einander viel verzeihen müssen«, prophezeite der CDU-Politiker einer tief gespaltenen, aber einheitlich coronagestressten Nation im Oktober 2022. Das war und ist so – und wird jetzt, da die Aufarbeitung der Pandemiemaßnahmen beginnt, gerade wieder aktuell. Aber… irgendwann ist es ja vielleicht auch mal gut! Sorry3000 tragen die Bockigkeit angesichts dauerbeleidigter Leberwürste bereits im Namen. Die aus Sachsen-Anhalt stammende Band, deren Mitglieder in Halle und Leipzig wohnen, brachte ihr charmant-dilettantisches Debüt mit dem programmatischen Titel »Warum Overthinking dich zerstört« mitten im Covid-Herbst 2020 heraus. Jetzt kehren sie mit ihrem zweiten Album zurück – und haben mit »Entschuldigung« ihren eigentlichen, herrlich unapologetischen Signature-Song geschaffen.

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»Tschuldigung, Tschuldigung / Tut mir leid, Entschuldigung«, sprechsingt Stefanie Heartmann darin in den wütender werdenden Indiegitarrensound der Band hinein, der schließlich in Frustration explodiert: »Reicht? Reicht? Ist es jetzt wieder gut? / Ohh, es reicht noch nicht, oder? Es reicht noch nicht, oder?« Der Song ist ein passiv aggressiv ausgestreckter Stinkefinger, der in seiner lakonisch-trockenen Art an die britische Post-Punk-Band Dry Cleaning erinnert. Wie bei den Londoner Kolleg:innen geht es aber auch bei Sorry3000 nicht darum, das ganz große politische Rad zu drehen, sondern die kleinen, fiesen Schrauben.

Der entlarvende Blick, den Sängerin Heartmann, Frank Leiden, Joni Spumante, Bianca Stress, Kim Möglich und Drummer Fenge, alle um die 30, auf die Verhältnisse werfen, reicht oft nur bis in die Nachbarschaft. So wie in »Hinterm Kreisel«, das den frühvergreisten deutschen Vorort- und Neubaugebiets-Spießbürgern den Spiegel ihrer Spielstraßen, Firmenwagenflotten, Border Collies, Dekokränze und Schottergärten vorhält: »Ich find’s schön, dass ihr euch damit wohlfühlt«, singt Heartmann, »aber ihr wisst schon, …dass das gar nicht geht, wie Ihr lebt.« Dazu dudelt provokant biederer Schunkelpop mit Trompetensoli aus dem Synthie. Das Schönste ist die kleine »Merkste selber, ne?«-Kunstpause, die Heartmann im Refrain lässt.

Sie sind im Grunde selbst ein wenig wie »Der kleine Zitronenbaum«, dem sie im gleichnamigen Song Mut zusprechen: Nicht verzagen, weil alle das Gesicht verziehen und dich achtlos umnieten! Das wird schon, das wächst schon, im Zweifel Limonade aus dem sauren Leben machen. Musikalisch professioneller als auf dem Debüt platzieren sie sich zwischen von Schnipo Schranke, dem Sozialkritikpop der Screenshots und der Anti-Macker-Attitüde von Blond aus Chemnitz. Post-NDW oder auch NNDW, Neue Neue Deutsche Welle, könnte man das nennen, wenn man ein Etikett braucht, mit dem jetzt wie damals sehr unterschiedliche Musik gelabelt wird.

Wie viele NDW-Bands tarnen auch Sorry3000 ihre tief empfundene Melancholie über die Tristesse des Alltags mit betont fröhlicher, amateurhaft niedlicher Musik. Im beiläufigen Vorbeitändeln wird aber ein durchaus ernst zu nehmendes Sentiment der Entfremdung vom Leben in der Leistungs- und Statusgesellschaft verhandelt. Etwa in »Es ist alles nicht so schlimm«, gesungen von Fenge, in dem es um den wohltuenden Eskapismus einer Autofahrt geht: »Ihr könnt mich gerne überholen / Solang wir nicht zu Hause sind / Ist es alles nicht so schlimm«. Im befreit dahingleitenden Elektropop dazu verschränken sich die Spuren von Joachim Witts »Goldener Reiter« und Kraftwerks »Autobahn«.

»Peter Maffay«, von Frank Leiden gesungen, arbeitet sich nicht an dem Deutschrockveteranen ab, dafür aber am Vorzeige- und Geltungsdrang profilierungssüchtiger Menschen auf Instagram. »Sonntagserschöpfung« illustriert mit gegen Windmühlenflügel ankämpfenden Gitarrenriffs, wie es sich anfühlt, wenn man am Wochenende zu schlapp ist, um Spaß zu haben: »Woah, ich bin befreit von der Arbeit und jedem Funken Fröhlichkeit«, konstatiert Heartmann. Mit »Ich will sparen« gelingt der Band dann auch noch eine zeitgeistige Hymne auf die Konsumgeilheit inmitten lähmender Inflationsgefühle: »Der Spaß ist zu Ende / Wo kriege ich Prozente? / Ich habe einen Plan / Ich will sparen«, heißt es darin. Vielleicht auch das Lied, mit dem sich Christian »Schuldenbremse« Lindner demnächst aus dem mittäglichen Powernap wecken lässt.

»Real Pop« nennen Sorry3000 das, was sie machen. Sie wollen nicht crazy, sexy oder cool sein. Sind es dann aber natürlich doch, wenn Steffi Heartmann (diese blöden Kunstnamen!) im Video zu »Hinterm Kreisel« mit einem Kostümbären durch urbane deutsche Baustellenlandschaften marodiert. Ein Tanzbär, kein Problembär! Das ist womöglich als nicht sehr subtiler Hinweis auf einen bevorstehenden Umzug nach Berlin zu deuten. Auf jeden Fall aber ist es ein gutes Symbol für die verzweifelte Hoffnung auf ein bisschen Anarchie und Fröhlichkeit, die sich durch die sympathisch dissidenten Songs auf »Grüße von der Überholspur« zieht. Entschuldigung, aber da fragt man sich doch, warum Sorry3000 noch nicht die Lieblingsband der Stunde ist. (8.0/10)

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Kurz Abgehört:

Dews – »Honey From a Weed«

Wie man aus Unkraut Honig gewinnt (haben wir uns nicht ausgedacht, ist der Titel des Albums), zeigen die Sängerin Pola Levy und der Musiker Maurice Meyer auf ihrem tatsächlich sehr süßen Debüt. Musikalisch ist »Honey From a Weed« eine Fundgrube für Popfans, die in den Achtzigerjahren sozialisiert wurden. Allein bei »Falling Water«, einem der schönsten Stücke des Albums, überlegt man lange, welchen alten Hit es anklingen lässt. Am Ende kommt wohl Yazoos »Only You« am nächsten. Im Video zu der Single geben Levy und Meyer eine Art Al Bano und Romina Power des Indiepop, wobei sie in Songs wie »Your Love Is Too Much« eher nach Roxette klingen, wenn die jemals so cool gewesen wären: Es ist toll – und hat einen lasziven Glamour, den man aus dem diskursverliebten Hamburg nicht unbedingt erwartet hätte. Levy war Teil der früh verkulteten Post-Punk-Band Zucker, dann Theatermusikerin, Meyer einst Konzertveranstalter »auf Kampnagel«, wie man in der Hansestadt zu der alternativen Kulturfabrik in Winterhude sagt. Als Dews (also Tautropfen) schrecken sie nicht vor den schweißtreibenden Pumpbässen und Glitzer-Gitarrenlicks aus der Muckibude des Funk zurück, kühlen dann aber immer wieder alles in einer Eistonne voller Drumcomputerbeats und Synthesizer-Schnee auf Harmonietemperatur runter. Hat Suchtpotenzial, dieser Honigtau. (7.3/10)

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Stefanie Schrank – »Schlachtrufe BRD«

»Du bist ein niemals endender Albtraum / Du bist scheiße mal 80 Millionen«: Die Haltung der Sängerin, Musikerin und bildenden Künstlerin Stefanie Schrank zu ihrer Heimat Deutschland ist, nun ja, recht eindeutig. Die Zeile stammt aus dem Lied »Dude, what the fuck...?«, in dem sich Schrank, auch Sängerin der Kölner Indierockband Locas in Love, am Rechtsruck der Nation abarbeitet. Aber sie tut es nicht mit den Mitteln des Punkrocks und Pamphlets wie einst die Bands auf den linksradikalen Deutschpunk-Samplern der Reihe »Schlachtrufe BRD«, die den Namen ihres zweiten Albums samt Titelsong inspirierten. Schrank channelt diesen in den Neunzigerjahren aufgesaugten Geist des Widerständigen in ihren eigenen Klangkosmos, einen von Krautrock und Kraftwerk beeinflusstem Elektronikpop, zu dem sie zu Beginn mit irreführend passiver Stimme Verse des Unmuts vorträgt. Dann aber lässt sie in instrumentalen, fast tanzbaren, später brutal eskalierenden Stücken wie »Amöbe« die Musik ins rein Assoziative entfliehen – und endet mit einer Coverversion des Sehnsuchtsschmachtfetzens »All Out of Love« von Air Supply. Radikaler geht’s kaum. (7.5/10)

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Pearl Jam – »Dark Matter«

Wenn man zwei absolute Superfans im Studio hat, die jedes Riff, jedes kehlige Röhren abfeiern und nerdisch fachsimpelnd ins Verhältnis zu früheren Großtaten setzen, dann kann das schon mal revitalisierend auf Altrocker wirken: Superstarproduzent und Musiker Andrew Watt machte zwei Tage nachdem er mit seiner Arbeit am auch recht knackigen Comeback-Album der Rolling Stones fertig war, gleich mit der nächsten, etwas jüngeren Rocklegende weiter. Zusammen mit seinem Kumpel, dem Gitarristen und Multitalent Josh Klinghoffer, versammelte er die Grungeveteranen Pearl Jam bei Rick Rubin im Shangri-La-Studio und ließ sie einfach live auf engstem Raum zusammen jammen. So wie früher. »Dark Matter«, das zwölfte Studioalbum der Band aus Seattle, klingt nun nicht unbedingt so wie vor 30 Jahren (wie auch?), hat aber einen rohen Charme, den man zuletzt auf dem altersbeschwerten »Gigaton« vermisste. Der prügelnde Punk-Metal-Rock von »Running« hat sogar ein bisschen »No Code«-Energie. Hymnisches wie »Waiting For Stevie« (Wer immer damit gemeint ist… Stevie Nicks?) bedient die »Alive«-Sehnsucht altgedienter Gefolgschaft; elegisches Vedder-Geknödel in »Upper Hand« oder »Wreckage« will »Jeremy«-Intensität erzeugen. Der dunkle Materialismus, der sich hinter »Dark Matter« verbirgt: Ähnlich wie bei den Stones ist das Album ein hinreichend motorisiertes Vehikel, um Konzerttickets zu verkaufen. Denn live auf der Bühne haben Pearl Jam noch immer jene Wucht, die hier kompetent und sehr gut klingend simuliert wird. Superfan-Service sozusagen. (6.9/10)

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Wertung: Von »0« (absolutes Desaster) bis »10« (absoluter Klassiker)

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Band Sorry3000 käme aus Sachsen. Tatsächlich stammt sie aus Sachsen-Anhalt, wenngleich Teile der Band inzwischen im sächsischen Leipzig leben. Wir haben den Fehler korrigiert.