Krasser Absatzrückgang ++ Tesla baut Stellen ab: Ist die E-Auto-Wende ein Irrtum?

Seltenes Bild: eine Ladesäule in Berlin

Seltenes Bild: eine Ladesäule in Berlin

Foto: picture alliance / Lorenz Huter/photothek.de

Es war über Jahre DAS große Thema der deutschen Verkehrspolitik. Um weniger klimaschädliches CO2 auszustoßen, sollte der Verkehr in Deutschland elektrisch werden. Die Politik erließ strengere Regeln, formulierte ehrgeizige Ziele, beschloss teure Förderprogramme. Doch jetzt gerät der Elektromotor mächtig ins Stottern. Die Nachfrage ist mau, die Produktion stockt, Politiker legen eine 180-Grad-Elektrowende hin!

„Das Verbrenner-Aus für 2035 ist falsch und muss deshalb zurückgenommen werden!“, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (57, CSU) zu BILD. Er kassiert damit nicht nur seine eigene Forderung aus dem Jahr 2020, sondern schießt auch gegen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die das Verbot eingeführt hatte.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU)

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU)

Foto: Peter Kneffel/dpa

Söder weiter: „Unsere Automobilhersteller sind weltweit führend im Bau von Verbrennermotoren. Es ist daher geradezu widersinnig, eine funktionierende Technologie stillzulegen und künftig anderen Ländern zu überlassen.“

War der Elektro-Kurs am Ende ein Irrweg? BILD macht den großen E-Check.

Die Konsumenten machen nicht mit

Es ist das größte Problem für die E-Auto-Strategie von Politik und Wirtschaft: Die Konsumenten ziehen nicht so mit, wie erwartet.

Im ersten Quartal 2024 wurden in Deutschland 81 337 E-Autos neu zugelassen (dazu 218 912 Hybrid-Autos), 14 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Neue Verbrenner dagegen wurden 374 819 zugelassen (+ 4 Prozent).

Neuzulassungen Januar bis März 24 – Infografik

Eine exklusive INSA-Umfrage (1004 Befragte) für BILD zeigt: Deutschland ist ein Land der E-Skeptiker. 66 Prozent finden E-Autos zu teuer, 53 Prozent beklagen die geringe Reichweite, 50 Prozent die fehlenden Ladensäulen und 44 Prozent halten die Technik für unausgereift. Dass es keinen Grund gegen den Kauf eines Elektroautos gibt, meinen gerade mal fünf Prozent.

Ist das der Beginn einer langen E-Flaute?

Autopapst Ferdinand Dudenhöffer (72) findet: Ja. „Die Elektro-Flaute wird noch Jahre anhalten.“ Das E-Auto werde zurückkommen, aber wahrscheinlich erst, wenn der Krieg in der Ukraine beendet ist und andere Themen wieder in den Fokus rücken. „Das Problem: Bis dahin wird sich das Elektroauto in China komplett durchgesetzt und die komplette Produktion dorthin verlagert haben.“

Ökonomin Anita Wölfl vom Ifo-Institut München widerspricht: „Was wir aktuell beobachten, ist eine Delle in den Neuzulassungen, kein Einbruch“, so Wölfl. „Hinter uns liegt ein enormer Schub, vor allem ausgelöst von den Null-Emissions-Grenzwerten der EU und China sowie der Innovationsprämie. Die Entwicklung ist rasant, und sie wird weitergehen.“

Die Wirtschaft fährt runter

Die Industrie ist offenkundig von einer höheren Nachfrage ausgegangen, streicht jetzt Stellen. Nachdem VW bereits im Herbst die Produktion in seinem Vorzeige-Werk in Zwickau runtergefahren hat, wurde diese Woche bekannt, dass Elektro-Pionier Tesla weltweit 14 000 Mitarbeiter entlässt, davon 3000 in Deutschland.

Deutsche Autobosse machen überraschend deutlich, was sie von festen Fristen für den Ausstieg aus der Verbrennertechnologie halten: gar nichts.

„Den Zeitpunkt für den letzten Verbrenner kennen wir schlichtweg nicht“, sagt Mercedes-Chef Ola Källenius zu BILD. „Unser Produktangebot richtet sich grundsätzlich nach den Kundenwünschen und wird stets auf dem technologisch neuesten Stand sein – das beinhaltet bis deutlich in die 30er-Jahre hinein auch Verbrenner.“

Mercedes-Chef Ola Källenius

Mercedes-Chef Ola Källenius

Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Und auch VW-Boss Oliver Blume spricht nicht mehr nur von seinen Elektro-Zielen, sondern auch von einem „flexiblen Angebot an Antrieben“, das es in der Transformationsphase brauche. „Deshalb sind wir flexibel aufgestellt: vollelektrisch mit VW ID.7 oder Audi etron Q6, mit effizienten Verbrennern wie dem 911 oder Tiguan und Hybriden wie dem neuen Golf“, so Blume zu BILD.

Die Politik schlingert

Autoexperte Dudenhöffer ist überzeugt, dass der aktuelle Abschwung der Elektromobilität „das Ergebnis desaströser Politik“ ist. „Erst hat die Politik Autobauer in die Elektromobilität reingetrieben und jetzt lässt sie sie allein im Regen stehen.“

Anstatt die Industrie zu unterstützen, streiche die Regierung vorzeitig die Umweltprämie, machten Parteien EU-Wahlkampf gegen das Elektroauto, plane die EU-Kommission Strafzölle für billige Alternativen aus China, so der Experte.

Nur 3 Prozent Elektroautos – Infografik

Dabei ist die Ampel-Regierung sehr ambitioniert gestartet, hat sich das Ziel von „mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030“ in den Koalitionsvertrag geschrieben.

Nur mit der Umsetzung hakt es. Laut Kraftfahrtbundesamt waren zu Jahresbeginn 1,4 Millionen reine Elektroautos zugelassen. Um das Ziel noch zu erreichen, müssten jeden Monat im Schnitt mindestens 197 000 hinzukommen.

Hildegard Müller, Chefin des Automobilverbandes VDA, geht zwar davon aus, dass deutsche Hersteller bis 2030 15 Millionen E-Autos produzieren. Aber wo die verkauft werden, hänge auch davon ab, ob es genug Ladesäulen gibt.

„Wir als Automobilindustrie machen unsere Hausaufgaben und investieren hohe Summen“, so Müller. „Aber die Politik muss endlich auch ihre Hausaufgaben erledigen: mehr Lademöglichkeiten schaffen, Stromnetze ausbauen, die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen verbessern, für mehr grünen Strom sorgen. Die Liste ist lang.“

Und die Bundesregierung? Die hält weiter an ihrem Ziel fest. „Wir sind überzeugt: Unser Ziel ist erreichbar, aber es bleibt letztendlich eine individuelle Kaufentscheidung“, erklärt Verkehrsminister Volker Wissing (53, FDP).

Doch auch mit 15 Millionen E-Autos gebe es noch jede Menge Verbrenner auf der Straße, so Wissing weiter. „Da sie noch viele Jahre auf deutschen Straßen unterwegs sein werden, brauchen wir klimafreundliche Kraftstoffe wie E-Fuels oder HVO 100.“

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