Typisch deutsch 5 Dusseligkeiten, die beweisen, dass Deutschland ein „Ist halt so“-Land geworden ist

Quelle: Getty Images

Deutschland schmiert ab: Wir müssen unsere typisch deutsche Haltung dringend neu justieren. Auch im Kleinen. Von Brotkultur bis Homöopathie – fünf Marotten auf dem Prüfstand. Ein Gastbeitrag.

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Viele Landsleute sagen ja: Das Glas ist nicht halbleer, das Glas ist ganz leer. Wir müssen erkennen: Oh, wir waren mal besser. Unsere alten, ach so deutschen Tugenden scheinen nichts mehr zu taugen in dieser Welt.

Wir halten uns für diszipliniert und ordnungstreu, aber wenn bei Lidl eine zweite Kasse aufmacht, schmeißen die Leute von hinten an der Hackfleischtruhe ihr Sandwichtoast vorne aufs Band – wie sonst auf Malle ihre Handtücher auf die Liege.
Irgendwas ist.

Unsere Autos schaffen es nicht mehr in die Top 10.
Unsere Verwaltung nennt sich digital, weil man ihr E-Mails senden kann. Die druckt sie dann aus und heftet sie ab.
Unser Flugverkehr ist so auf wirtschaftliches Überleben getrimmt, dass wir bei einem kostenlosen Stück Schokolade an Bord (Wert: 3 Cent) beim Kauen vor Rührung anfangen zu weinen.

Wir führen an Unfallschwerpunkten Geschwindigkeitsbegrenzungen ein und wenn dann dort deswegen weniger Menschen verunglücken, müssen die Schilder wieder weg, weil: Ist ja kein Unfallschwerpunkt.

Würde man das einem Schimpansen immer wieder sehr lange und ausführlich erklären – selbst er würde schließlich begreifen: Da kann irgendetwas nicht stimmen mit uns Deutschen.
Ich komme da auf mehr als 40 Gründe im Kleinen. Hier kommen mal fünf:

Grund 1: Deutsche Brotkultur heißt: Wir essen Aufkleber mit

„Wie war der Urlaub?“
„Hach, toll. Aber das Brot – nä!“

Es gibt in Deutschland offenbar 3000 registrierte Brotsorten. Verschiebt sich in der Rezeptur auch nur ein Atom, bekommt das Brot einen neuen Namen. Damit die Bäckereifachverkäuferin da das Knorzebrot noch vom Saft-Heini (sic!) und das Mini-Maxi von der Zwillingskruste unterscheiden kann, werden die Brote ganz ordentlich deutsch gekennzeichnet. Mit Brotsortenbeschriftungsaufklebern. Nachteil: Diese verdammten Dinger gehen oftmals nicht richtig ab! Und so popeln und spucken wir am Abendbrottisch nun alle die Aufkleberfetzen über den Aufschnitt. Es sei denn, jemand weicht die Kruste vorab mit einem nassen Lappen ein. Dann lässt sich der Aufkleberrest abziehen.

40 Gründe, warum Deutschland abschmiert

Warum können andere Nationen ihre Bananen, Äpfel und Käse so bekleben, dass alles restlos abgeht, aber wir nicht unser Brot? Wir zucken mit den Schultern: „Ist halt so“. Wir sind „Ist halt so“-Land geworden.

Grund 2: Wir stehen ewig an roten Ampeln. Um 4 Uhr nachts ganz allein auf der grünen Wiese

In anderen Ländern bauen sie Kreisverkehre. Wir denken: „Da verrutschen mir nur die Tüten mit den Pfandflaschen im Kofferraum. Wozu gibt es Ampeln?“

Und damit alles seine Ordnung hat, lassen wir die Ampeln nachts schön an. Falls doch mal zwei Autos orthogonal aufeinander treffen. Und dann stehen wir da und warten und warten und das Leben zieht an uns vorbei. Es gibt intelligente Ampeln. Hamm in Westfalen hat eine. Mit KI. Für 80.000 Euro. Geht ja noch. Solche Ampeln könnten auf die Umstände vor ihnen reagieren. Aber das wäre dann natürlich was mit digital. Und deshalb geht bundesweit durch die Medien, dass Hamm eine neue Ampel hat.

Grund 3: Unseren Krankenkassen zahlen für Homöopathie – von unserem Geld

  1. Die Wirksamkeit von Homöopathie lässt sich nicht beweisen. So, wie man auch nicht beweisen kann, dass Hamster fliegen können.
  2. Es heißt immer: Unser Rohstoff sind nicht Öl oder Gold oder Seltene Erden. Sondern Bildung.
  3. Krankenkassen zahlen gegen ihre eigene Befürchtung von der fehlenden Wirksamkeit für Homöopathie. Das sagen einige sogar ganz offen.

Ergo: Hä?

Und wenn der Bundesgesundheitsminister an diesem Unsinn etwas ändern will, weil wir alle sparen müssen, dann bremsen die Grünen. Nur weil die Esoteriker unter ihren Stammwählern haben. Es reicht in Deutschland, dass Menschen „gute Erfahrungen“ gemacht haben und der Homöopathie „vertrauen“, wie es der baden-württembergische Gesundheitsminister von den Grünen sagt.

Ein Freund von mir schwört auf Tee mit Rum gegen Erkältung. Wenn sich da 1000 weitere Rumfans finden: Soll die Krankenkasse Havanna Club bezahlen?
In unserem Land wird gerade an Impfungen gegen Krebs gearbeitet. Hoffentlich wandern die bei so viel Wissenschaftsleugnung hierzulande nicht ab nach China.



Grund 4: Wir dürfen sonntags nicht einkaufen – und tun es dann eben online

Die in Deutschland mittlerweile winzige Minderheit der regelmäßigen Kirchgänger mag sich darauf berufen, dass der liebe Gott uns sonntags gerne ruhen sehen würde. Weshalb wir statt einzukaufen, sonntags dann dazu verdonnert sind, ins Kino zu gehen, ins Museum, ins Café, ins Restaurant, zum Bowlen oder Tretbootfahren. Oder wir verreisen mit dem Zug oder dem Flugzeug oder gehen in den Zoo. Überall dort arbeiten Menschen sonntags. Aber am Sonntag ein paar Schuhe kaufen?
Ja, dann geht natürlich das Abendland unter.

Als wenn es ausgerechnet im Einzelhandel keine sozialverträglichen Lösungen für die Angestellten geben könnte. Stattdessen hat das Einkaufsverbot den Sonntag zur Primetime im Online-Handel gemacht. Mit Umsätzen, die dann in der Fußgängerzone fehlen.

Und wie lautet das Mainstream-Argument gegen freies Shoppen? „Kauf deinen Kram halt samstags. Geht bislang doch auch.“ Und genau wegen diesem generellen deutschen „Geht bislang doch auch“ werden wir abschmieren, wenn wir nicht umdenken.

Grund 5: Lottozahlen sind bei uns Nachrichten ohne Gewähr

Höre ich „Lottozahlen“, denke ich an Gundula Gause. Glücksspielspaß in den Nachrichten. Lottozahlen in den Nachrichten zu verkünden, hat gleich drei Effekte:

  1. Lottospielen wirkt wichtig. Die Zahlen kommen im Fernsehen.
  2. Lottospielen wirkt sozial akzeptiert. Das macht man ja offenbar so.
  3. Lottospielen ist allgegenwärtig. Dauernd kommt immer irgendwo irgendwas ohne Gewähr.

Was für einen Nachrichtenwert haben Lottozahlen? Einen, der die Verkündung etwa von Bahn-Sparpreisen oder Sonderangeboten bei Aldi übersteigt?
Warum werden keine lustigen Tiervideos gezeigt? Rubrikname „Heinz‘ Wolf“. Anders als das Glücksspiel machen Videos von Wölfen und Hunden nicht süchtig.

Zehn Millionen Menschen in Deutschland haben einen Hund.
Sieben Millionen spielen regelmäßig Lotto.
4,6 Millionen Menschen waren 2023 hierzulande spielsüchtig oder zeigten erste Symptome.
Liebe Gundula Gause, lieber Heinz Wolf, ich spüre es: Es wäre Ihnen doch auch lieber, wenn Sie nie mehr „ohne Gewähr“ sagen müssten. Machen Sie Deutschland besser. Auch ohne Tiervideos.

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Alle unsere Marotten auf den Prüfstand – und Spaß dabei. Und da gibt es vieles, vieles. Wenn Sie mich fragen: Wenn wir häufiger mit einem Lächeln über uns selbst den Kopf schütteln würden, dann kämen wir schneller zurück nach vorne. Und da sind wir uns bestimmt einig: Vorne stünde uns mal wieder gut.

In seinem neuen Buch entlarvt unser Kolumnist Marcus Werner mit dem Spaß am Finger in der Wunde noch 35 weitere kuriose Deutschdusseligkeiten. Der studierte Jurist ist außerdem Fernsehmoderator und arbeitet als Kommunikationsberater. „Wir dürfen jetzt nichts überstürzen – 40 Gründe, warum Deutschland abschmiert“, Yes Publishing, 224 Seiten, 15 Euro, erhältlich unter anderem auf Amazon oder bei Thalia.

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