Digitale Souveränität Welche Chancen haben deutsche Cloudanbieter gegen Amazon, Google & Co.?

Blick in einen Serverraum bei Ionos Quelle: PR

Der Großauftrag des Bundes an Ionos beweist: Es existieren durchaus lukrative Nischen für deutsche Cloudanbieter. Um diese besetzen zu können, fordern sie jetzt Hilfe von der Politik ein.

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Anfang April machte der deutsche Cloudanbieter Ionos mit einem Großauftrag von sich reden: Für insgesamt 410 Millionen Euro lässt die Bundesverwaltung von dem Unternehmen aus Karlsruhe in den kommenden Jahren eine besonders abgesicherte Cloud-Lösung bauen – eine sogenannte private Cloud, also ein physisch vom öffentlichen Internet separiertes Rechnernetzwerk.

Vielen Beobachtern jenseits der IT-Branche stellt sich angesichts eines solchen Großauftrags nun die Frage, ob die deutschen Cloudspezialisten vielleicht doch eine Chance gegen die amerikanischen Giganten Amazon mit seiner dominanten Cloudtochter Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google haben. Das halten Branchenanalysten jedoch nur zum Teil für berechtigt.

So sei der Deal mit der Bundesverwaltung vor allem eine Blaupause dafür, wie deutsche Anbieter als Spezialisten ihre Stärken gegen AWS, Microsoft & Co ausspielen können: „Sie können im Grunde nur mit hochqualifizierten spezifischen Lösungen Nischenmärkte besetzen und so gegen die Hyperscaler bestehen“, sagt etwa Axel Oppermann vom Kasseler IT-Analysehaus Avispador.

Auskommen in der Nische

Immerhin lässt sich in solchen Nischen durchaus ein Auskommen finden. Zumal das Thema digitale Souveränität für viele Kunden in Europa – Unternehmen wie Behörden gleichermaßen – weit oben auf der Agenda bleibt. Zwar haben viele US-Anbieter wie Microsoft, AWS, Oracle und Google Cloud in den vergangenen Jahren ihre Angebote der europäischen Nachfrage entsprechend erweitert und eigene Rechenzentren in Deutschland eröffnet. „Der nicht-europäische Unternehmenssitz bleibt aber ein limitierender Faktor“, sagt Karsten Leclerque, Experte für Cloud Computing beim Analysehaus PAC mit Sitz in München.

Hier bieten sich diverse Möglichkeiten für deutsche und europäische Anbieter: „Souveränität kann je nach Anforderung über vielfältige Aspekte adressiert werden“, kommentiert Leclerque. „Etwa über technologische Maßnahmen wie Verschlüsselung, organisatorische Vorkehrungen oder den Einsatz von Open-Source-Software zur Vermeidung von Abhängigkeiten.“

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In letztere Richtung marschiert aktuell etwa der Softwarehersteller Nextcloud aus Stuttgart. Schon seit Anfang 2020 hat sich Nextcloud mit Ionos verbündet. Gemeinsam bieten beide Unternehmen ein Paket aus professionellem Datenspeicher sowie optional hinzubuchbarer Bürosoftware und Teamarbeitslösungen inklusive Videokonferenzen aus der Cloud an. Die Software hat Nextcloud auf Basis von Open-Source-Software selbst konzipiert.

Datenschutzkonforme Alternative zu ChatGPT

Nach ähnlichem Strickmuster haben die Stuttgarter nun eine Open-Source-Alternative zu den auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Chatbots wie ChatGPT oder Copilot aus dem Hause Microsoft entwickelt. „Die proprietären KI-Systeme der amerikanischen Big-Tech-Unternehmen stellen ein enormes Risiko für Privatsphäre, Sicherheit und digitale Souveränität dar“, sagt Nextcloud-Chef Frank Karlitschek. Die Besonderheit bei seiner jetzt vorgestellten Lösung: Der Nextcloud Assistant 2.0 wird künftig unter anderem von großen europäischen Cloudprovidern wie Ionos und OVH angeboten. „Gemeinsam werden wir ein europäischen KI-Netzwerk bereitstellen, um datenschutzfreundliche Alternativen zu OpenAI und ähnlichen US-Diensten anzubieten“, erläutert Karlitschek.

Ionos wendet sich mit dem Angebot vor allem an seine Kernzielgruppe, mittelständische Unternehmen aus Deutschland. Die Bereitstellung von Servern für Websites sowie Mailadressen für kleinere Firmen spült seit Jahren kontinuierlich Umsatz und Gewinn in die Kassen der Muttergesellschaft United Internet – und zwar so erfolgreich, dass der Konzern aus Montabaur seine Tochter im Februar 2023 an die Börse gebracht hat.

Mit inzwischen mehr als acht Millionen Kundenverträgen sieht sich Ionos als führender europäischer Anbieter von Hosting- und Cloud-Dienstleistungen sowie Cloud-Infrastruktur. „Unser Ziel ist es, den kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem öffentlichen Sektor den Zugang zur Digitalisierung so einfach wie möglich zu machen“, propagiert Ionos-Chef Achim Weiß. Unter anderem deshalb setzt er auf Kooperationen, um sich gegen die vermeintlich übermächtigen US-Rivalen zu behaupten. „Es gibt tolle und innovative IT-Unternehmen in Europa in vielen Bereichen, wie zum Beispiel Aleph Alpha und Mistral im Bereich der KI oder Nextcloud für Kollaborationslösungen.“

Stärker europäische Lösungen nachfragen

Für Weiß hat der Großauftrag mit der Bundesverwaltung zudem Signalwirkung in Richtung Politik: „AWS wurde unter anderem deswegen so groß, weil sie von Beginn an große Aufträge der US-Regierung erhalten haben“, sagt der Ionos-Chef. „Ich kann nicht verstehen, warum wir uns hier in Deutschland noch so schwer damit tun, die heimische Wirtschaft zu unterstützen und wir stattdessen teilweise hochsensible Daten lieber in die Cloud in den USA auslagern.“ Daher sollten seiner Meinung nach vor allem öffentliche Einrichtungen stärker souveräne europäische Lösungen nachfragen.

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Eine Forderung, der sich auch andere deutsche Cloudprovider anschließen: So wünscht sich etwa Christian Müller, IT-Chef der hinter dem Lidl-Konzern stehenden Schwarz-Gruppe, „dass die wirkliche digitale Souveränität bei Technologieentscheidungen eine größere Rolle spielt – also nicht automatisch Hyperscaler den Zuschlag bekommen, sondern heimische Anbieter in den Auswahlverfahren eine größere Rolle spielen.“

Auch Müller argumentiert in eigener Sache – schließlich hat der Lidl-Konzern in den vergangenen Jahren mit dem hauseigenen Dienstleister Stackit eine ernstzunehmenden Cloudplattform speziell für mittelständische Unternehmen an den Start gebracht. 

Wie viele Kunden Müller und Schwarz-Digitalchef Rolf Schumann inzwischen gewinnen konnten, haben die beiden bis heute allerdings nicht verraten.

Sichere Messaging-Lösung integriert

Unabhängige Beobachter zeigen sich von den Lidl-Ambitionen aber durchaus überrascht: „Stackit baut sein Cloudangebot in beeindruckender Geschwindigkeit aus und investiert massiv in KI“, beobachtet Avispador-Analyst Oppermann.

Aktuell geht der Dienstleister den nächsten wichtigen Schritt: So hat sich die Lidl-Tochter nun mit dem schweizerisch-deutschen Start-up Wire verbündet. Gemeinsam wollen die Partner die sichere Messaging-Lösungen von Wire in die Cloudplattform von Stackit integrieren. Stackit-Kunden können dann ohne großen Aufwand die hochverschlüsselten Chat-App des Unternehmens mit Hauptsitz im schweizerischen Zug nutzen.

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Zwar dürften auch europäische Spezialdienste wie ein sicherer Unternehmensmessenger oder ein souveräner KI-Assistent „keine Marktdominanz erzielen“, wie es Avispador-Analyst Oppermann ausrückt. Das heißt in seinen Augen: Die Anbieter können im internationalen Maßstab keine relevante Rolle erobern und sie werden Märkte nicht maßgeblich gestalten. Ausreichend Geschäftspotenzial biete sich Ionos, Schwarz & Co. aber dennoch, meint Oppermann: „Wir sprechen hier immerhin von einem Milliardenmarkt in Deutschland und ganz Europa.“

Lesen Sie auch: Bundesverwaltung vergibt Großauftrag an Ionos

Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 11. April 2024 bei der WirtschaftsWoche. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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