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Laura Backes

Die Lage am Abend Die Leiden der jungen Wähler

Die drei Fragezeichen heute:

  1. Mutmaßlicher Spion in der AfD – wer ist der Mann, der Informationen an China weitergegeben haben soll?

  2. Campusproteste in den USA – warum ist die Lage in New York eskaliert?

  3. Hoffnungslose Jugendliche – wieso sind viele junge Leute frustriert?

Podcast Cover

1. Wer ist der Mann, der im Europaparlament spioniert haben soll?

Seit die Nachricht bekannt wurde, dass ein Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah im Auftrag Chinas spioniert haben soll, ist die Aufregung groß. Hat da wirklich jemand Interna aus dem Europaparlament an einen chinesischen Geheimdienst weitergegeben?

Was mich am meisten an dieser Geschichte interessiert: Wer ist Jian G. überhaupt? Genau das haben meine Kolleginnen und Kollegen versucht zu beantworten. Sie waren in Dresden, wo er zuletzt in einem Plattenbau wohnte, und haben sich bei chinesischen Exiloppositionellen umgehört. Jian G. soll nämlich versucht haben, das Vertrauen von Regimekritikern zu gewinnen, um sie auszuforschen und Namen von Dissidenten im Exil und in China herauszufinden.

Dafür soll er etwa an regimekritischen Demonstrationen vor der chinesischen Botschaft teilgenommen und darauf gedrängt haben, in den Vorstand der »Föderation für ein demokratisches China« aufzusteigen, was ihm auch gelungen sei. Irgendwann habe man dort dann aber ein merkwürdiges Gefühl gegenüber G. entwickelt, weil er zurück nach China gereist war. Das werde Leuten aus der Demokratiebewegung normalerweise nicht gestattet. Ein Ermittlungsrichter hat einen Haftbefehl erlassen, Jian G. kommt in U-Haft. AfD-Mann Krah kündigte an, seinem Mitarbeiter noch heute zu kündigen.

2. Heftige Krawalle an Elitehochschulen

Kaum ein Thema spaltet westliche Gesellschaften derzeit so sehr wie der Nahostkonflikt. Im deutschen Kulturbetrieb wird mit Protesten und Boykotten verhandelt, ob der Krieg in Gaza noch gerechtfertigt ist – und andererseits, ob die Kritik an Israel nicht schlicht eine Form des Antisemitismus ist.

In den USA gibt es ähnliche Debatten, allerdings werden sie vor allem in oder inzwischen vor den Universitäten geführt. Seit Monaten bekunden propalästinensische Campusgruppen ihre Solidarität mit den Bewohnern Gazas und üben heftige Kritik an Israel. Nicht wenige jüdische Studenten fühlen sich bedrängt und bangen um ihre Sicherheit.

Besonders an der Columbia University in New York hat sich die Lage in den vergangenen Tagen zugespitzt. Die Polizei ging gegen ein Protestcamp auf dem Campus vor und nahm mehr als 100 Menschen fest. Auf Social Media gingen unschöne Bilder der Zusammenstöße viral. Die Reaktion auf diese Eskalation dürfte niemanden überraschen: Studierende an Hochschulen im ganzen Land solidarisierten sich. Ob in Yale, am MIT oder an der New York University – die Campusproteste werden immer größer.

Mein Kollege Alexander Sarovic berichtet aus New York und sieht vor allem das Dilemma der Unipräsidenten: Einerseits müssten sie so viel Redefreiheit wie möglich auf dem Campus zulassen; andererseits die jüdischen Studentinnen und Studenten schützen. »Bisher scheitern sie an beidem«, schreibt Alexander.

3. Was die Politik gegen die Sorgen der Jugend tun kann

Heute ist der Moment in meinem Leben gekommen, an dem ich zum ersten Mal die Phrase »Als ich noch jung war« verwende und mir dabei ganz schön alt vorkomme. Denn es ist so: Meine Jugend war geprägt von 9/11. Ich wusste, die Welt wird nicht besser, aber die Gefahr blieb abstrakt. Die deutsche Politik langweilte mich, manchmal sprachen wir darüber, wie aufregend die politische Landschaft anno dazumal war, 1968 zum Beispiel. Oder in den Achtzigern. Nun, das ist lange her.

In diesen Tagen blicken junge Leute anders auf die Welt. Aus der Trendstudie »Jugend in Deutschland« geht hervor, dass 14- bis 29-Jährige unter einer »ungewöhnlich hohen mentalen Belastung« leiden . Grund dafür seien vor allem politische und wirtschaftliche Sorgen: Inflation, eine mögliche Ausweitung der Kriege in der Ukraine und in Nahost, die Spaltung der Gesellschaft sowie der zu teure Wohnraum.

Erschreckend ist für mich besonders eine Zahl der Studie: 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen würden demnach die AfD wählen. Mein Kollege Lukas Hillebrand sieht die Verantwortung dafür bei den Ampelparteien: »Statt Politik für junge Wähler zu machen, legten sich viele Politiker im vergangenen Monat TikTok-Kanäle zu«, schreibt er. »Die demokratischen Parteien werden das Vertrauen junger Wähler aber nicht mit Sieben-Sekunden-Videos gewinnen. Sie müssen die Probleme angehen, die diese Wähler umtreiben, und angemessen mit ihnen kommunizieren.«

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Heil verspricht rasches Gesetz für mehr Bezahlung nach Tarif: Weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland wurde zuletzt nach Tarif bezahlt. Zumindest bei größeren öffentlichen Aufträgen des Bundes soll das nach dem Willen von Arbeitsminister Heil aber bald Pflicht werden.

  • Priester von Nawalny-Beerdigung vom Kirchendienst suspendiert: Der russische Priester Dmitrij Safronow darf für drei Jahre keine priesterlichen Pflichten ausüben. Eine Begründung dafür nannte die Moskauer Diözese nicht. Safronow leitete den Gedenkgottesdienst für den Kremlgegner Alexej Nawalny.

  • »Dieser Fall schwebt wie eine dunkle Wolke über Olympia«: Er spricht von Fehlverhalten und Vertuschung: In der Affäre um 23 positive Fälle im chinesischen Schwimmen legt sich der Chef der amerikanischen Antidopingbehörde mit dem eigenen Dachverband an. Hier schildert er, was ihn umtreibt .

Mein Lieblingsinterview heute

Hat mein Kollege Frank Hornig mit dem großen italienischen Schriftsteller Antonio Scurati geführt. Sein monumentales Werk über den italienischen Diktator Benito Mussolini steht halb gelesen (immerhin!) in meinem Bücherregal. Scurati sollte morgen, am Nationalfeiertag, im Fernsehsender RAI über Italiens Befreiung vom Faschismus sprechen. Sein Auftritt wurde kurzfristig abgesagt, angeblich weil Ministerpräsidentin Giorgia Meloni interveniert hat. Wollte der Sender Kritik am postfaschistischen Profil der Regierungschefin unterdrücken?

Regierungschefin Meloni: »Die Ministerpräsidentin hat die Bedeutung des Antifaschismus noch nie gewürdigt«

Regierungschefin Meloni: »Die Ministerpräsidentin hat die Bedeutung des Antifaschismus noch nie gewürdigt«

Foto: Antonio Masiello / Getty Images

Antonio Scurati benutzt im Interview mit meinem Kollegen Frank Hornig drastische Worte, um die Situation in seinem Heimatland zu beschreiben: »Ich sage Ihnen noch etwas: Ich bin sehr vorsichtig, wenn es um Vergleiche mit dem historischen Faschismus geht. Ich habe ihn jahrzehntelang studiert und will keine unangemessenen Bezüge herstellen. Aber in diesem Fall nutze ich das Wort Gewalt. Es ist keine körperliche, aber eine psychische, moralische Gewalt. Ich werde von den Rechtsextremen, die uns regieren, nicht als Gegner behandelt. Sondern als Feind.«

Die nie gehaltene Rede können Sie übrigens hier  bei den Kollegen der »Süddeutschen Zeitung« nachlesen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Habeck erhöht Prognose – und fordert Anreize, mehr zu arbeiten: Die Bundesregierung hebt ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum leicht an, Minister Habeck ist trotzdem unzufrieden und sieht »strukturelle Probleme des Standorts«. Wie der Staat sie lösen sollte, ist innerhalb der Koalition umstritten .

  • Europas Kampf gegen den Müll – was sich für Industrie und Verbraucher ändert: Weniger Abfall, mehr Recycling und Mehrweg: Die EU will den Verpackungswahn verringern, das hat das Europaparlament entschieden. Hilft das wirklich gegen die Müllflut? 

  • Verschwindet TikTok in den USA bald von allen Handys? Die Weichen in Richtung eines Verkaufs oder Verbots der Video-App sind gestellt. Doch TikTok will sich gegen den US-Gesetzentwurf wehren, dem nur noch Joe Bidens Unterschrift fehlt. Wie es jetzt weitergeht.

  • Mit der Pistole in die Sprechstunde: Männer gehen ungern zur Therapie. Der Psychotherapeut und Analytiker Frank Dammasch erklärt die Gründe – und was Angehörige und Freunde tun können .

Was heute weniger wichtig ist

»Rücken hin, Rücken her«: Der Komiker Hape Kerkeling, 59, kehrt in seinem Alter Ego zurück: als der schmierige Journalist Horst Schlämmer. Bei der Verleihung für den »Düsseldorfer des Jahres« gab Kerkeling bekannt, dass für das kommende Jahr ein neuer Horst-Schlämmer-Film geplant sei. Im Dialekt seiner Kunstfigur fügte er hinzu: »Weiße, der Horst kommt zurück. Ja, Rücken hin, Rücken her. Nein. Et muss noch mal sein.« Der Grund dafür? »Diese schweren Zeiten schreien nach klaren Antworten. Und die hat der Horst.«

Mini-Hohlspiegel

Aus dem »Schwäbischen Tageblatt«

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Thomas Plaßmann

Und heute Abend?

Könnten Sie sich, falls Sie es nicht schon tun, die neue Musik von Taylor Swift anhören. Vergangenen Freitag erschien ihr neues Album »The Tortured Poets Department«. Es brach alle Streamingrekorde. »Ein brillanter, schmerzdurchzogener Abgesang auf ein doppeltes Ende: einer Beziehung und einer Affäre«, urteilte mein Kollege Tobias Rapp . Taylor Swifts großes Talent sei es, in ihren Gefühlen immer wieder etwas Universelles zu finden.

Taylor Swift

Taylor Swift

Foto:

Sarah Yenesel / EPA

Sollten Sie zu denjenigen gehören, die jetzt die Augen verdrehen – entweder weil Sie als Swiftie nicht fassen können, dass das Album erst jetzt hier empfohlen wird oder weil Sie des Swift-Hypes überdrüssig sind –, dann möchte ich Ihnen diesen klugen Text meines Kollegen Xaver von Cranach ans Herz legen: Er beschäftigt sich mit den Rezensionen zu »The Tortured Poets Department« und fragt, was sie über den Zustand der Kulturkritik aussagen: Musikkritiker, wo wart ihr?


Einen schönen Abend. Herzlich

Ihre Laura Backes, Autorin

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