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Rückzug der US-Truppen aus Niger »Die Russen geben den Regierungen das, was der Westen nicht leisten kann«

Die US-Truppen verlieren einen ihrer wichtigsten Stützpunkte in Afrika, ziehen sich aus Niger zurück. Gleichzeitig sind erste russische Truppen angekommen. Sicherheitsexperte Franklin Nossiter erklärt, was das für den Westen bedeutet.
Ein Interview von Heiner Hoffmann, Nairobi (Kenia)
Demonstranten mit russischer Flagge am 20. August 2023 in Niamey

Demonstranten mit russischer Flagge am 20. August 2023 in Niamey

Foto: Souley Abdoulaye / Getty Images

Niger war einst der wichtigste Verbündete des Westens in der Sahelzone. Das Land stoppte Migrantinnen und Migranten auf dem Weg nach Europa; französische, deutsche und US-amerikanische Truppen waren dort stationiert. Im Juli vergangenen Jahres putschten sich Militärs an die Macht. Seither hat sich das Verhältnis zum Westen drastisch verschlechtert, ähnlich wie auch in den Nachbarländern Burkina Faso und Mali.

SPIEGEL: Nach Frankreich ziehen sich nun auch die US-amerikanischen Truppen aus Niger zurück, sie werden ihre Militärbasis in der Wüste aufgeben, von der aus sie in der Vergangenheit Drohnen flogen. Gleichzeitig sind russische Soldaten in der Hauptstadt Niamey eingetroffen. Hat der Westen die Sahelzone verloren?

Nossiter: Das würde ich so nicht ausdrücken. Trotz all der Dramen in den vergangenen Wochen gibt es noch immer eine bedeutende westliche Präsenz in der Region. Allein die USA leisten in den Sahel-Ländern Niger, Burkina-Faso und Mali humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Wert von je etwa 200 Millionen US-Dollar. Nur Frankreich hat sein Engagement völlig zurückgefahren. Aber es stimmt schon, die Länder der Sahelzone, und auch darüber hinaus, nähern sich Russland immer mehr an. Denn die Russen geben den Regierungen das, was der Westen nicht leisten kann und will, also vor allem Sicherheitsdienstleistungen für die Juntas.

SPIEGEL: Russland macht einfach die besseren Angebote?

Nossiter: Ja. Es geht dabei nicht um Blockpolitik oder eine ideologische Annäherung an Russland, wie es sie während des Kalten Krieges gegeben hat. Russland ist einfach in der Lage, das bereitzustellen, was diese Regime haben wollen.

SPIEGEL: Und schaut dafür beim Thema Menschenrechte und Demokratie weg.

Nossiter: Genau. Das Thema Souveränität wird in vielen afrikanischen Ländern gerade viel debattiert. Die Russen kommen und tun genau das, worum sie von den Regierungen gebeten werden, das ist sehr transaktional. Alles andere interessiert sie nicht. Dazu war der Westen eindeutig nicht bereit. Wir haben von einer hochrangigen US-Delegation gehört, die vor Kurzem nach Niamey gereist ist und dort sehr viel Druck ausgeübt hat. Sie verhandelten hart und stellten Ultimaten, sie forderten nicht nur einen Zeitplan für eine Rückkehr zur Demokratie, sondern warnten auch vor Uranhandel mit Iran und einer Partnerschaft mit Russland. Moskau hingegen übt diese Art von Druck nicht aus.

SPIEGEL: Ein strategischer Fehler der USA?

Nossiter: Die Amerikaner haben nicht erkannt, wie sich das diplomatische Umfeld in diesem Teil der Welt verändert hat. In der Vergangenheit konnten westliche Diplomaten im Prinzip tun und lassen, was sie wollten. Die Junta in Niger hat nun deutlich gemacht, dass westliche Länder ihnen nicht mehr vorschreiben können, mit wem sie zusammenarbeiten dürfen und mit wem nicht. Der Westen muss daraus lernen, denn das neue Streben nach einer multipolaren Welt ist ein globales Phänomen. Das gibt es nicht nur in der Sahelzone. Wenn der Westen weiterhin den bisherigen Ansatz verfolgt, wird er auch in anderen Teilen der Welt eine Abkehr ehemaliger Verbündeter erleben.

Luftaufnahme von Agadez: Hier betreibt die US-Armee bislang einen wichtigen Drohnenstützpunkt

Luftaufnahme von Agadez: Hier betreibt die US-Armee bislang einen wichtigen Drohnenstützpunkt

Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGEL

SPIEGEL: Wie schmerzhaft ist der Verlust der Drohnenbasis in Niger für die USA?

Nossiter: Die Basis war essenziell für die Aufklärung islamistischer Aktivitäten in der gesamten Region. Von dort aus haben die USA weite Teile Nord- und Westafrikas überwacht. Es ist völlig unklar, wie sie diese nachrichtendienstlichen Fähigkeiten zurückgewinnen wollen. Es heißt nun, dass die Amerikaner möglicherweise einen neuen Stützpunkt im Golf von Guinea eröffnen wollen, zum Beispiel in Benin, Ghana oder der Elfenbeinküste. Aber es werden ihnen dann trotzdem die erforderlichen Überfluggenehmigungen fehlen, auch wird die Reichweite der Drohnen dann womöglich nicht mehr ausreichen. Zugleich muss man feststellen, dass die Dschihadisten in der Sahelzone derzeit keine große Bedrohung für die USA oder das europäische Festland darstellen.

SPIEGEL: Niger ist aber auch ein Transitland für Migrantinnen und Migranten Richtung Europa. Die Konvois durch die Wüste in Richtung Mittelmeer rollen wieder. Sollten Deutschland und seine Nachbarn sich Sorgen machen?

Nossiter: Das Thema Migration ist für viele EU-Länder ganz oben auf der Agenda. Deshalb ist Europa in Niger immer noch sehr aktiv. Italien hat eine hochrangige Delegation entsandt. Gerade für die Italiener ist das Migrationsproblem viel wichtiger als etwa die Konkurrenz mit Russland oder die Sorge um die Demokratie in Niger. Rom ist daher willig, Kompromisse einzugehen, zu denen die USA nicht bereit waren. Ob das wirklich helfen wird, ist schwer zu sagen. Die Junta hat ziemlich deutlich gemacht, dass die Migrationskontrolle keine Priorität für sie darstellt. Fest steht: Wenn die EU weiterhin eine entscheidende Rolle in der Region spielen will, dann muss sie den Juntas in der Sahelzone entgegenkommen. Die Militärregime befinden sich in einer guten Position. Der Westen hat lange geglaubt: »Diese Länder brauchen uns mehr als wir sie.« Jetzt ist die Realität genau andersrum. In dieser Wirklichkeit muss Europa ankommen.

SPIEGEL: Sollte sich der Westen für eine Rückkehr zur Demokratie starkmachen?

Nossiter: Wenn der Westen jetzt die Rückkehr zur Demokratie fordert, dann ist das oft hohle Rhetorik. Die abgesetzten Regierungschefs, die vom Westen unterstützt wurden, waren oft nicht besser als die Putschisten. Die Leute sagen sich: »Wir hatten eine Demokratie, aber sie hat uns nicht die Vorteile gebracht, die wir uns erhofft hatten. Warum sollten wir also weiter an sie glauben.« Dem Westen haben oft die Lippenbekenntnisse der Regierenden gereicht – Hauptsache, es gab eine Wahl, dann war es für sie eine Demokratie. Diese Art der Doppelmoral kommt bei der Bevölkerung nicht mehr gut an.

Tankstelle in Agadez

Tankstelle in Agadez

Foto: Carmen Abd Ali / DER SPIEGEL

SPIEGEL: Was kann der Westen denn tun, um wieder beliebter zu werden?

Nossiter: Ich denke, eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit ist derzeit nicht mehr möglich. Die Länder haben mit schweren Sicherheitskrisen zu kämpfen und sehen eine Zusammenarbeit mit dem Westen nicht mehr als hilfreich an. Nichtsdestotrotz hat der Westen in der Sahelzone großen Einfluss in Form von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Diese Hilfe ist nach wie vor unglaublich wichtig. Ein Fünftel der Menschen in Burkina Faso, Mali und Niger ist darauf angewiesen. Die Hilfe muss fortgeführt werden, wenn der Westen Sympathien zurückgewinnen will.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

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