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Reaktionen auf Steinmeiers Döner-Geschenk »Die entscheidende Frage kommt viel zu kurz: Mit oder ohne scharf?«

Steinmeiers 60-Kilo-Tiefkühl-Dönerspieß wird kontrovers diskutiert. Stimmen aus Politik und Gesellschaft zu einer Geste, die den Besuch in der Türkei prägte.
Dönerspieße (in München)

Dönerspieße (in München)

Foto: Sven Hoppe / dpa

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Die Türkeireise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier geht zu Ende, und was vor allem anderen hängen bleibt, scheint die Debatte über sein Gastgeschenk zu sein. Einen 60 Kilogramm schweren, tiefgefrorenen Dönerspieß hatte der Bundespräsident dabei und ließ ihn beim Empfang vom Berliner Imbissbudenbesitzer Arif Keles  zubereiten und servieren. Steinmeier hatte Keles und einige andere Gäste mitgenommen als Beispiele für deutsch-türkische Migrationsgeschichten.

Wie es sich gehört, gab es Bild- und Videomaterial vom Präsidenten mit Dönermesser. Die Geschichte von der türkisch-deutschen Entwicklung des Döners wurde erzählt als Symbol für die Früchte, die Migration tragen kann. Wie nicht anders zu erwarten, hagelte es im Netz Häme und den einen oder anderen Dönerwitz. Aber es gab auch ernste Stimmen zur Wahl des Mitbringsels. Zum Abschluss der Türkeireise bilden wir die kontroversen Positionen noch einmal ab.

Steinmeier in Istanbul

Steinmeier in Istanbul

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

»Knietief in klischeehaften Vorstellungen«

»Ich glaube, dass Steinmeier und seine Berater keine bösen Absichten dabei hegten, einen Dönerspieß mit in die Türkei zu nehmen«, sagt die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. »Erschreckend ist aber, dass ihm und seinen Beratern auch im Jahr 2024 nur das eingefallen ist, wenn es darum geht, was sie offensichtlich am meisten mit türkischstämmigen Menschen assoziieren. Ist das wirklich das Einzige, was einem dazu einfällt?« Ihr Vorschlag, was der Präsident stattdessen hätte mitbringen sollen: »Meine Verwandtschaft freut sich über deutsche Schokolade.«

»Ich werde mich jedenfalls ab jetzt als ›Döner-Deutsche‹ bezeichnen!«

Die SPD-Politikerin und frühere Bundestagsabgeordnete Lale Akgün sagt: »Anscheinend hat sich der Döner besser integriert als der Türke. Der Türke muss quasi dem Döner nachlaufen, um ein Stück der Anerkennung abzubekommen, die der Döner wohl genießt.« Akgün wurde in Istanbul geboren und kam nach eigenen Angaben im Alter von neun Jahren nach Deutschland. »Während Menschen türkischer Herkunft um ihre Identität und um einen Platz in dieser Gesellschaft kämpfen, weist ihnen der Bundespräsident, wahrscheinlich in bester Absicht(!), den Platz in der Imbissstube zu«, so Akgün. »Der Bundespräsident hat mir den entscheidenden Tipp gegeben, wie der Begriff auf deutsche Verhältnisse spezifiziert werden kann. Ich werde mich jedenfalls ab jetzt als ›Döner-Deutsche‹ bezeichnen!«

Ebenfalls kritisch sieht das Geschenk Sevim Dağdelen, außenpolitische Sprecherin des Bündnis Sahra Wagenknecht im Bundestag: »Der Bundespräsident steckt offensichtlich knietief in den klischeehaften Vorstellungen der deutsch-türkischen Beziehungen aus den Sechzigerjahren fest.« Das eigentliche Problem sei es, so Dağdelen, dass der Bundespräsident sich nicht öffentlich für die Freilassung Gefangener wie Selahattin Demirtaş eingesetzt habe.

Ähnlich argumentiert die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Linke), die sich ein anderes Geschenk Steinmeiers für die türkische Regierung gewünscht hätte: »Angesichts des erbärmlichen Zustands des türkischen Rechtsstaats hätte ich Steinmeier angeraten, Erdoğan eine türkische Ausgabe der Europäischen Menschenrechtskonvention mitzubringen.«

»Kein Kulturgut in diesem Sinne«

Der Sozialwissenschaftler Cihan Sinanoğlu sieht im Dönerspieß etwas Veraltetes: »Das Bild der türkeistämmigen Community und der postmigrantischen Gesellschaft scheint in den Achtziger-/Neunzigerjahren hängengeblieben zu sein«, kritisiert der Leiter des Nationalen Rassismus- und Diskriminierungsmonitors am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Für die zweite und dritte Generation von Türkeistämmigen sei der Döner »kein Kulturgut in diesem Sinne«, führt er aus. »Im Gegenteil, wenn man an die Bezeichnung ›Dönermorde‹ für die Taten des NSU denkt, macht dieser Begriff den strukturellen Rassismus deutlich.«

Besser wäre es aus seiner Sicht, auf migrantisch geprägte Kunst- und Kulturszenen zu verweisen sowie auf Rap und Hip-Hop. »Der Fokus auf den Döner offenbart einen sehr begrenzten Blick, realitätsfern und abgekoppelt von Lebensrealitäten und einer postmigrantischen Gesellschaft.« Aber kann die Diskussion über das Dönergeschenk nicht auch etwas bewirken? Da ist Sinanoğlu gespaltener Meinung. »Vielleicht kann diese Debatte helfen, anders auf unsere Einwanderungsgeschichte zu gucken und diesen antiquierten Blick abzulegen. Aber man sollte sie nicht größer machen, als sie ist. Das Land hat im Moment wirklich andere Probleme.«

Danyal Bayaz von den Grünen teilt die Kritik und merkt an: »Es ist schade, wenn diese für die deutsch-türkischen Beziehungen so wichtige Reise jetzt darauf reduziert wird. Ohnehin kommt die entscheidende Frage viel zu kurz: Mit oder ohne scharf?«

»Anerkennung der Lebensleistung der ersten Generation«

Eberhard Seidel hingegen sagt, Döner mitzunehmen, sei »eine hervorragende Idee, weil der Döner, die Döner-Unternehmer und die ganze Branche sichtbar zum Ausdruck bringen, wie sich die deutsche Gesellschaft verändert hat«. Von dem Soziologen und Journalisten erschien 2022 das Buch »Döner. Eine deutsch-türkische Kulturgeschichte«.

»Bislang waren deutsch-türkische Künstler, Wissenschaftler, Unternehmer oder Schriftsteller Teil der deutsch-türkischen Diplomatie, nicht aber jene, die mit schweißtreibender Arbeit am Dönergrill das Land verändert haben. In diesem Sinne war der Döner im Gepäck des Bundespräsidenten eine Anerkennung der Lebensleistung der ersten und aller folgenden Generationen türkischer Einwanderer, die im Mittelpunkt des Staatsbesuchs stehen sollte.«

bö/fra/mgo/mtt