Politik

Pressefreiheit in Italien Wie die Regierung Meloni den Sender RAI belagert

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Der Schriftsteller Antonio Scurati sollte in einer RAI-Sendung einen Monolog gegen Faschismus vorlesen - und wurde kurzfristig gestoppt.

Der Schriftsteller Antonio Scurati sollte in einer RAI-Sendung einen Monolog gegen Faschismus vorlesen - und wurde kurzfristig gestoppt.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

RAI ist einer der wichtigsten TV-Sender Italiens. Der Chef der Journalistengewerkschaft des öffentlichen Rundfunks erzählt, warum sich Redakteure immer mehr kontrolliert fühlen.

Daniele Macheda arbeitet seit 37 Jahren für Italiens öffentlichen Rundfunksender RAI. Mit 25 Jahren fing er an, mittlerweile ist er 62 Jahre alt. Seit 2021 ist er auch Vorsitzender der RAI Gewerkschaft Usigrai und hat in dieser Funktion vor allem in letzter Zeit alle Hände voll zu tun. Das hat mit der Regierung Giorgia Melonis zu tun, die nach rechts rückt, immer weiter von der Mitte weg. Sie versucht immer wieder, die Informationsfreiheit des Staatssenders einzuschränken. Der jüngste Fall ist der des Schriftstellers Antonio Scurati, der in einem der RAI-Sender einen Monolog zum 25. April, Tag der Befreiung Italiens vom Nazifaschismus, vorlesen sollte. Stattdessen wurde er kurzerhand ausgeladen - einer von vielen Eingriffen.

Dass die Regierung Einfluss auf den Sender nimmt, ist nicht neu. Bei RAI wurden immer Intendant, Verwaltungsgremien und Chefposten proportional zum Wahlergebnis verteilt. "Diese Proporzverteilung ist unschön und müsste endlich abgeschafft werden", sagt Macheda im Gespräch mit ntv.de. "Immerhin gewährte sie aber jeder Partei, jedem Lager ein Stück vom Kuchen. Jetzt erfolgt aber eine Belagerung, deswegen sprechen wir auch von einer erstickenden Kontrolle."

Einwände werden gestrichen

Wie diese Kontrolle ausgeübt wird, erzählt Macheda anhand einiger Vorfälle bei RaiNews, dem Nachrichtensender, für den auch er arbeitet. "Als die Regierung die Vorschrift verabschiedete, dass sich Staatsanwälte und Richter ab 2026 einem psychologischen Test unterziehen werden müssen, meldete sich Staatsanwalt Nicola Gratteri, einer der wichtigsten und bekanntesten Mafia-Jäger, zu Wort. Er sagte, er sei mit dem Test einverstanden, vorausgesetzt alle Beamten würden sich einem Alkohol- und einem Drogentest unterziehen. RaiNews ignorierte Gratteris Einlassung und berichtete nicht darüber." Möglicherweise war sein Kommentar zu provokant. Der psychologische Test war im Vorfeld nämlich von der Opposition sowie von vielen Staatsanwälten heftig kritisiert worden.

Peinlich war die Berichterstattung am 26. Januar, dem Holocaust-Gedenktag. Italiens Staatsoberhaupt Sergio Mattarella hielt eine starke Rede, tauchte dann aber in der Tagesschau von RAI1 nur wenig prominent auf. Stattdessen wählte die Redaktion ein Interview mit Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida als Aufmacher, dem Schwager von Premierministerin Meloni. Seine Botschaft: Astronauten auf der Raumstation ISS essen italienische Pasta.

An selben Abend und im selben Programm, in dem Scurati seinen Monolog vortragen sollte, tat stattdessen die Chefredakteurin der Nachrichtenredaktion von RAI1 ihre Meinung zum Thema Abtreibung kund. Abtreibung sei kein Recht, sondern ein Delikt, sagte sie. "Ist das nicht absurd?", fragt Macheda. "Es steht nicht uns Journalisten, sondern der Justiz zu, zu sagen, was ein Delikt ist und was nicht."

Nicht Megafon der Regierung sein

Die Versuche, den öffentlichen Rundfunk handzahm zu machen, erfolgen mal verdeckt, andere Male forsch und regelrecht unverschämt, wie im Falle des Par-Condicio-Gesetzes. Das soll Parteien im Wahlkampf gleiche Auftrittsmöglichkeiten in Fernsehen und Radio sichern. Auch hier versuchte die Regierung zu tricksen. Talkshow-Auftritte von Regierungsmitgliedern sollten nicht mehr mitgezählt werden, schrieb sie vor. RaiNews sollte außerdem Wahlkampfreden von allen Parteien live und ohne journalistischen Kommentar übertragen.

Beide Vorhaben wurden blockiert. Zu Liveübertragungen der Wahlkampfauftritte gaben RAI-Journalisten eine Stellungnahme ab: "Die Regierungsmehrheit hat beschlossen RAI, in ihr Megafon zu verwandeln (...) Das entspricht aber nicht unserer Vorstellung von öffentlichem Dienst und von journalistischer Arbeit, die Fragen voraussetzt (auch unangenehme), Überprüfung der Fakten und Hinweise auf Widersprüche."

Wie bei Berlusconi - aber anders

Dass das Klima in RAI immer stickiger wird, beklagen nicht nur die Journalisten. Seit die neue Regierung im Amt ist, haben auch viele Moderatoren und Moderatorinnen von Unterhaltungssendungen RAI in Richtung von Privatsendern verlassen. Und das nicht (nur) wegen der Bezahlung. Sogar beim alljährlichen TV-Schlagerfestival Sanremo soll es seitens der Politik Versuche gegeben haben, sich einzumischen. Deswegen packte Moderator und Leiter Amadeus die Koffer. Zuvor hatte er Rekord-Einschaltquoten erzielt.

Schadenfreude darüber wäre fehl am Platz, meint Macheda. "RAI bietet an die 10.000 Arbeitsplätze. Sollte da etwas ins Wanken kommen, wäre das ein großes Problem. Mir geht es aber auch um das, was RAI für mich als Bürger dargestellt hat. Nehmen wir als Beispiel die Pandemie. RAI war für die Italiener die wichtigste Informationsquelle." Ganz am Anfang, in den 1950er-Jahren, als in Italien der Analphabetismus noch weit verbreitet war, lehrte RAI anhand eines Programms vielen Italiener sogar das Lesen und Schreiben.

Auf die Frage, was eigentlich anders ist als zur Zeit von Silvio Berlusconi, der ja selber mehrere TV-Sender hatte und trotzdem viele RAI-Journalisten, die ihm nicht zugeneigt waren, nach Hause schickte, antwortet Macheda: "Ich war und bleibe ein absoluter Berlusconi-Gegner. Und es war wirklich gefährlich, wie er die Macht in RAI an sich zog. Trotz allem war Berlusconi aber ein Liberaler."

Die Journalisten von RAI planen jetzt einen fünftägigen Streik. Der Schriftsteller Maurizio Maggiani hatte vor ein paar Tagen zu einer Demo im Namen der Pressefreiheit aufgerufen. Dem Appell scheint aber niemand gefolgt zu sein. Wahrscheinlich auch, weil die Öffentlichkeit resigniert hat. Es habe ja noch jede Regierung mit RAI gemacht, was sie wollte, heißt es. Und die jetzige tue es eben auch.

Quelle: ntv.de

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