Wirtschaft von oben #259 – Musk in Texas Elon Musks Utopia – Mitarbeiter-Baracken wie im Flüchtlingslager

Mit der Starbase von SpaceX in Boca Chica machte Musk einen ersten Schritt nach Texas, nun ziehen praktisch all seine Unternehmen um. Quelle: LiveEO/Pleiades

Der Ausnahmeunternehmer zieht gerade mit praktisch all seinen Firmen nach Texas um, baut dafür sogar neue Ortschaften auf. Die haben eine fragwürdige Wohnqualität, zeigen neueste Satellitenbilder. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Seine Liebe zum liberalen Kalifornien hat Elon Musk verloren, stattdessen die zum eher konservativen Texas entdeckt. Immer mehr seiner Unternehmen siedelt der umstrittene Entrepreneur gerade rund um die Stadt Austin und im Süden des US-Bundesstaates an – SpaceX, The Boring Company, Neuralink, Tesla. Auch den offiziellen Firmensitz seines Weltraumunternehmens SpaceX verlegte er gerade erst aus der Steueroase Delaware nach Texas. Tesla soll folgen.

Neueste Satellitenbilder von LiveEO zeigen nun, wie Musk ganze Ortschaften für seine Mitarbeiter bauen lässt. Er plant ein Moderationszentrum für Inhalte seines sozialen Netzwerks X, will Schulen, gar eine Universität errichten. Auch seine Stiftung sitzt nun in Austin, das sich seit Eröffnung des Tesla-Werks am südöstlichen Stadtrand mehr und mehr zu Musk City wandelt.

Die Siedlungen, die der Milliardär hier in Texas für Beschäftigte etwa am Colorado River bauen lässt, werden von US-Medien zwar gern als „Utopia“ bezeichnet. Doch ein Blick auf neueste Satellitenbilder zeigt, dass diese Zukunftswelt nicht unbedingt erstrebenswert ist. Die aneinander gequetschten länglichen Baracken dürften wenig Wohnqualität bieten, sie erinnern eher an ein Flüchtlingslager.

Zuvor hatte Musk in den vergangenen Jahren über Strohmänner und Strohfirmen Tausende Hektar Land rund um Austin und in Südtexas aufkaufen lassen. Die Grundstücke, die er in dem Bundesstaat besitzt, haben inzwischen einen Wert von mindestens 2,5 Milliarden Dollar, hatte der US-Nachrichtensender NBC errechnet. Auf Ranches, wo bisher Rinder grasten, sind zuletzt riesige Hallen entstanden.

Am deutlichsten ist der Musk’sche Bauboom in Bastrop County zu erkennen, 21 Kilometer östlich vom Mitte 2022 eröffneten neuen Tesla-Werk in Austin. Auf einem Grundstück am Colorado River haben sich gleich zwei seiner Unternehmen niedergelassen, der Tunnelbohrspezialist The Boring Company und SpaceX. Das zeigen die Satellitenaufnahmen.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus

In einer auf der westlichen Straßenseite gelegenen Halle lässt Musk offenbar die Empfangstechnik für sein Satellitenkommunikationsnetz Starlink fertigen. Das Gebäude ist gewaltig, misst 160 mal 300 Meter. Gegenüber befindet sich nicht nur The Boring Company, sondern auch der neu geschaffene Ort Snailbrook. Ein Tennisplatz und ein Pool deuten darauf hin, dass auch Musk hier immer mal wieder unterkommt.

Zudem gibt es nördlich der Boring-Halle einen Shop des Unternehmens, der hier neben Souvenirs wohl auch Lebensmittel vertreibt. Neben dem hat Musk zwei Pickleball-Felder anlegen lassen. Der Milliardär hatte sich zuletzt immer wieder begeistert von der neuen in den USA rasant wachsenden Sportart gezeigt, die eine Mischung aus Tennis und Tischtennis ist.

The Boring Company, Bastrop County, Texas, USA

02.04.2024
Lupe links: Tennisplatz und Pool deuten darauf hin, dass Musk hier hin und wieder übernachtet. Sie gehören zu seinem neu gegründeten Dorf Snailbrook.
Lupe rechts: Neben dem Werksshop gibt es zwei blaue Felder für Pickleball, eine Trendsportart, von der Musk immer mal wieder schwärmt.
1: Die riesige Fertigungshalle von SpaceX für Satellitenkommunikationstechnik.
2: Die Hallen von The Boring Company.
3: Eingezeichneter Plan für eine superenge Ortschaft mit 110 Häusern für Mitarbeiter, basierend auf eingereichten Unterlagen.

Bild: LiveEO/Pleiades, Behördenunterlagen

Die Wohnhäuser im bestehenden Teil von Snailbrook sind zwar klein, erinnern eher an Baracken, sind allerdings immer noch größer und mit ihren kleinen Vorgärten komfortabler als das, was Musk 500 Meter nordöstlich plant. Hier zeigen bei den örtlichen Behörden unter dem Namen „Project Amazing“ eingereichte Pläne, dass er 110 Wohnhäuser für Mitarbeiter auf allerengstem Raum bauen will. Die Straßen sind nach Boring-Bohrtechnologie benannt, heißen Cutterhead Crossing, Waterjet Way und Porpoise Place.

Lesen Sie auch: Die Geschäfte von Tesla laufen schlechter als erwartet. Trotzdem reagiert die Börse euphorisch.

Zudem soll auf einer der angrenzenden Parzellen eine neue Schule entstehen, die nach dem Montessori-Prinzip arbeitet. Schon 2014 hatte der Milliardär, weil er unzufrieden mit der Schule seiner Söhne war, kurzerhand seine eigene gegründet – unter dem Namen Ad Astra. Was anfangs als Präsenzunterricht für acht Schüler anlief, ist heute laut der Lokalzeitung „Austin Statesman“ als Astra Nova eine reine Online-Schule für 185 Kinder, vor allem für Kinder, deren Eltern beim Weltraumunternehmen SpaceX arbeiten. Zudem soll Musk planen, in der Nähe eine eigene Universität zu eröffnen.

Doch nicht nur SpaceX, Tesla und The Boring Company hat Musk in den vergangenen Monaten nach Texas gezogen. Auch sein Start-up Neuralink baut sieben Kilometer östlich von Tesla am Colorado River einen großen Campus. Das Unternehmen arbeitet an einer Computer-Hirn-Schnittstelle, die den einfachen Austausch von Daten möglich machen soll. Die Technik soll Querschnittsgelähmten helfen, Geräte zu steuern und auch Menschen mit neurologischen Krankheiten eine höhere Lebensqualität ermöglichen. 

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus

Zurzeit zeigen die Aufnahmen, das Arbeiten an einem 7200 Quadratmeter großen Mehrzweckgebäude begonnen haben. Zudem gibt es Gebäude für Tierversuche und Büroflächen. Neuralink war in den vergangenen Jahren in die Kritik gekommen: Eine Gruppe ethisch engagierter Ärzte hatte beim US-Landwirtschaftsministerium eine Beschwerde darüber eingereicht, wie Affen bei Neuralink-Versuchen an der University of California-Davis behandelt werden, zum Teil getötet werden müssen.

Mitarbeitersiedlungen scheint es bei Neuralink anders als bei Boring und SpaceX in Bastrop County nicht zu geben. Dafür gibt es sie auch in Boca Chica, direkt an der Grenze zu Mexiko. Hier ganz im Süden von Texas betreibt das Raumfahrtunternehmen SpaceX einen privaten Weltraumbahnhof und eine Raketenfertigung für die „Starship“-Rakete – die größte der Welt.



Während bei Austin die eng gestaffelten Baracken erst in Planung sind, stehen sie in Boca Chica bereits und lassen erahnen, wie begrenzt die Lebensqualität dort ist. Gleich mehrere solche Viertel hat Musk hier anlegen lassen. Zudem gibt es einen Wohnwagenpark und ein ganz neues Areal, wo größere Häuser für offenbar Besserverdienende gebaut werden.

Bilder: LiveEO/Pleiades, LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus

Musk selbst hatte 2020 all seine eigenen Wohnhäuser verkauft. Biograph Walter Isaacson veröffentliche auf dem Kurznachrichtendienst X vergangenes Jahr ein Bild vom Inneren eines Mietshauses in Boca Chica, in dem der Milliardär seinen permanenten Wohnsitz in Texas eingerichtet haben soll. Um welches der Häuser es sich handelt, ist nicht bekannt.

SpaceX Starbase, Boca Chica, Cameron County, Texas, USA

11.04.2024
Lupe oben: Auch hier gibt es die barackenartigen Unterkünfte für Mitarbeiter.
Lupe unter: Ober- und Unterstufen von Musks Superrakete Starship.

Bild: LiveEO/Pleiades

Wohnhäuser sind dennoch dringend notwendig. Im nahegelegenen Brownsville sind die Miet- und Kaufpreise für Wohnraum massiv angestiegen. Ein Problem für die Bevölkerung der Gegend. Musk hatte seine Mitarbeiter noch 2021 dazu aufgerufen, nach Brownsville zu ziehen. Das hat offenbar auch Spekulanten angezogen.

Seinen nach 2017 eingerichteten Raketenstandort lässt Musk gerade deutlich umbauen. Neben neuen Wohnanlagen kommen auch große Hallen dazu, die jene provisorischen Produktionszelte ersetzen, in denen bisher das Raumfahrzeug Starship und der Super-Heavy-Booster gebaut wurden. Im März gab es den bereits dritten Teststart des 120 Meter hohen Gefährts von der Startrampe nebenan. Die wurde in den vergangenen Monaten um mehrere Tanks erweitert.

Starbase-Startrampe bei Boca Chica, Cameron County, Texas, USA

11.04.2024: Nördlich der Rampe sind riesige Tanks zu erkennen, in denen der Treibstoff gelagert wird, flüssiger Sauerstoff und flüssiges Methan.

Bild: LiveEO/Pleiades

Dennoch ist das alles offenbar nur der Anfang für Musk in Texas. Er plant lokalen Zeitungsberichten zufolge in den kommenden Monaten und Jahren weitere Ansiedelungen. In Austin soll etwa ein riesiges Zentrum seines Kurznachrichtendienstes X entstehen, in dem Mitarbeiter die Qualität der Beiträge überprüfen sollen, um beispielsweise Kinderpornografie zu entdecken und zu entfernen. 100 Vollzeitmitarbeiter soll dieses Zentrum bekommen.

Lesen Sie auch: So will Elon Musk X zur „Super-App“ machen

Es ist laut dem Technologieportal „The Verge“ das erste solche Investment von Musk, seit er nach dem Kauf von Twitter die Moderation weitgehend eingestellt hat. Der US-Senat hat ihn offenbar dazu gedrängt, mehr gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern zu unternehmen.

Doch warum Texas? Der Bundesstaat lockt Unternehmer und Konzernlenker seit vielen Jahren mit wenig Bürokratie und niedrigen Steuern. So gibt es weder eine Einkommensteuer noch eine Kapitalertragsteuer für Individuen. Zudem dürfte die Politik dem zuletzt immer konservativer gewordenen Milliardär zusagen. So hatte Texas dem US-Magazin „Fortune“ zufolge beispielsweise Hochschulen untersagt, Büros für Diversität und Inklusion zu betreiben.

Musk war zudem zunehmend unzufrieden in Kalifornien. So wetterte er: „Kalifornien hat sich von einem Land der Möglichkeiten in ein Land der Steuern, Überregulierung und Rechtsstreitigkeiten verwandelt.“ Seine neue Tesla-Gigafactory ließ Musk wohl auch deshalb ausdrücklich nicht in Kalifornien bauen, sondern in Austin.

Bilder: LiveEO/Google Earth/Maxar, LiveEO/Google Earth/Airbus

Inzwischen sind in dem Werk 20.000 Mitarbeiter beschäftigt. Ende 2023 waren es noch 12.000. Spekulationen zufolge könnten dort eines Tages 60.000 Menschen arbeiten. Zuletzt allerdings hatte Tesla weltweit einen massiven Stellenabbau angekündigt. Das dürfte auch den Standort in Texas treffen.

Auch den offiziellen Tesla-Firmensitz will Musk von Delaware nach Texas verlegen. Grund dafür ist unter anderem ein Streit mit Aktionären, in dem ein Richter gegen den Milliardär geurteilt hat. Er will sich 55,8 Milliarden Dollar – ja, Milliarden – in Form von Aktien auszahlen lassen, die mit Abstand höchste jemals gezahlte Vergütung in der US-Geschichte. Die könnte der Milliardär nutzen, um den Kauf von Twitter zu refinanzieren. Für Twitter, heute X, hat er 44 Milliarden Dollar gezahlt – zehn Milliarden Dollar davon offenbar fremdfinanziert.

Hier finden Sie alle Beiträge aus der Rubrik „Wirtschaft von oben“

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%