Konflikt in der Anti-Doping-Szene:Wie Schachspieler, die plötzlich mit Fäusten kämpfen

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Gejagte Dopingjäger: Witold Banka, Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur, liefert sich seit Tagen heftige Wortgefechte mit Kollegen. (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Die einen sprechen von "potenzieller Vertuschung", die anderen von Verleumdung: Der Fall der chinesischen Schwimmer hat einen schwelenden Konflikt in der Anti-Doping-Szene angefacht. Tendenz: Flächenbrand.

Von Johannes Knuth

Travis Tygart, sagen Wegbegleiter, sei schon immer wetteifernd gewesen, unerschrocken im Angesicht eines Konflikts. Zugleich habe er sich nie von einem sperrigen Ego treiben lassen, sondern von einem Sinn für Gerechtigkeit, den sein Vater, ein Anwalt, ihm einflößte. Diese Haltung kam Tygart zupass, als er selbst Karriere machte als Anwalt eines sauberen Spitzensports. Der 53-Jährige hat einmal erzählt, wie ihn vor Jahren - Tygart war bereits Geschäftsführer der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada) - Lance Armstrongs Rechtsbeistand anrief. Der siebenmalige Tour-de-France-Sieger werde Tygart verklagen, der gerade dabei war, Armstrong zu enttarnen (letztlich erfolgreich). Den Anruf, so Tygart, habe er im Auto abgewickelt, während er seine Tochter zum Fußballtraining fuhr. Aber das sei nun mal Teil des Jobs.

Es gibt einige in der Anti-Doping-Szene, die bescheinigen Tygart ein taktisches Verhältnis zur Eskalation - in manche Fälle verbeiße er sich mit Übereifer, in andere weniger. Seine Erfolge sprechen jedenfalls für ihn. Unbestritten ist auch, dass Tygart seit Tagen wieder in Form ist wie zu Armstrongs Tagen. Nur dass diesmal die globale Aufsichtsinstanz im Kampf gegen den Pharmabetrug das Ziel ist, die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Was wiederum wohl nur möglich ist, weil hinter der aktuellen Debatte um positiv getestete Schwimmer aus China offenkundig eine größere Debatte tobt.

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Der Konflikt zwischen Wada und Usada lässt sich mindestens bis ins Jahr 2020 verfolgen. Damals drohte die US-Regierung, ihren Beitrag zum jährlichen Budget der Wada, rund 2,7 Millionen US-Dollar, einzufrieren. Sie verwies auf Defizite in der Art, wie die Wada ihre Geschäfte führte; tadelte, dass die USA als einer der potentesten und treuesten Finanziers der Wada nicht würdig in Leitungsgremien vertreten seien. Witold Banka, ein einstiger polnischer Leichtathlet und Politiker, der gerade Wada-Präsident geworden war, konterte unverblümt: Wenn die Amerikaner den Anti-Doping-Kampf stärken wollen, sollten sie in ihren eigenen Kommerzligen anfangen, im Basketball, Eishockey, Football, Baseball sowie im College-Sport, deren Dopingtests bestenfalls lückenhaft seien. Auch den Rodschenkow-Act empfindet die Wada bis heute als Stachel: Das Gesetz ermöglicht US-Strafverfolgern, Doper und Hintermänner weltweit zu verfolgen. Das Gesetz, sagte Banka, gefährde die Rolle der Wada als globale Anti-Doping-Instanz.

Die USA gaben ihren Beitrag zur Wada dann doch frei - für das Budget 2024 sind sogar 3,6 Millionen Dollar veranschlagt, der größte Beitrag aller Regierungen. Der Machtkampf loderte aber offenbar weiter. Als die Wada zu Jahresbeginn der spanischen Agentur Celad "signifikante Konsequenzen" androhte, weil diese Positivfälle "nicht in zeitiger Weise behandelt" habe, konterte der Celad-Chef Jose Luis Terreros: Der Wada-Präsident sei wohl bloß beleidigt, weil die spanische Agentur zuvor mit "rund zwanzig anderen nationalen Agenturen" Bankas Amtsführung kritisiert habe. Unter den zwanzig Behörden war dem Vernehmen nach auch die Usada (die Wada ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet).

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Als die ARD-Dopingredaktion und die New York Times zuletzt den Fall der chinesischen Schwimmer publizierten, waren Tygart und die Usada jedenfalls zur Stelle. Die Wada habe die Erklärung eines autoritären Systems, das 23 Positivfälle seiner Schwimmer Monate nach dem Vorfall auf eine kontaminierte Hotelküche zurückführte, nie ernsthaft hinterfragt. Mindestens hätten die Schwimmer provisorisch suspendiert werden müssen ( eine Auffassung, die die deutsche Nada teilt). Das rieche nach "potenzieller Vertuschung". Für eine Szene, die sonst mit Akronymen wie AAF, WADC und drittinstanzlichen Berufungen um sich wirft, war das etwa so, als würden zwei Schachspieler das Brett zu Seite werfen und mit Fäusten aufeinander losgehen.

Scheut keinen Streit: Travis Tygart, Chef der amerikanischen Anti-Doping-Behörde Usada. (Foto: Jose Luis Magana/AP)

Die Wada reagierte nicht minder scharf: Tygarts Vorwürfe seien "unerhört", "haltlos", "verleumderisch". Die Wada habe alle Vorgänge rigoros untersucht, wegen der Covid-Pandemie die Funde aus der Ferne überprüfen müssen. Als die Wada am Donnerstagabend mürrisch verkündete, man werde die Sache von einem "unabhängigen" Anwalt nochmals durchleuchten lassen, dem ehemaligen Schweizer Staatsanwalt Eric Cottier, feuerte die Usada prompt zurück: Dass die Wada sich einen angeblich unabhängigen Advokaten "aus ihrem eigenen Hinterhof" aussuche, zeige, wie reformbedürftig das System sei. Cottier war über 40 Jahre in Waadt aktiv, im Kanton des Hauptorts Lausanne, der Herzkammer des organisierten olympischen Sports, der von Schweizer Behörden traditionell wenig Widerstand zu erwarten hat. (Die Wada teilte auf SZ-Anfrage mit, Cottiers Wirken in 39 Jahren spreche für sich, er werde zudem vollen Zugang zu allen Dateien erhalten und könne weitere Experten nach Belieben hinzuziehen.)

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Zugleich fällt auf, wie mehrere Anti-Doping-Agenturen, darunter die Australier und Briten, zuletzt ähnliche Bedenken absetzten - und die Wada wiederum dafür kritisiert wurde, wie sehr Chinas Einfluss in der Agentur zuletzt gewachsen sei. Die Nachrichtenagentur AP berichtete unlängst, Yang Yang, seit 2019 Vizepräsidentin der Wada, habe ihren Posten womöglich auch erhalten, weil Chinas Regierung ihre Gaben an die Wada zuletzt signifikant erhöhte. Yang Yang wies das scharf zurück, wie Olivier Niggli, der Generalsekretär der Wada. Seine Agentur erhalte Geld von vielen Regierungen, China liege im vorderen Mittelfeld. Man behandele alle Nationen gleich, auch China, siehe den Fall von Sun Yang. Da die Attacken der Amerikaner unbegründet seien, seien sie folglich "politisch" motiviert, sagte Wada-Präsident Banka.

Noch ist unabsehbar, wie weit die Flammen greifen, die der Konflikt entfacht hat. Die Londoner Times berichtete jetzt, dass mehrere Schwimmer, die 2021 bei Olympia gegen die kurz zuvor positiv getesteten Chinesen antraten, eine "beispiellose Millionenklage gegen die Wada" erwägen. Travis Tygart, dem wiederum die Wada eine Klage angedroht hat, sagte unlängst, er würde das Geld anstelle der Wada lieber in ernsthafte Ermittlungen investieren. Eine Klage würde er zugleich "begrüßen", weil "dann die Wahrheit ans Licht kommt". Ein Kollege habe ihm einst gesagt: "Wenn du nicht mindestens Klagedrohungen erhältst, machst du deinen Job nicht richtig."

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