Wirtschaft

Dieselaffäre, Wirecard, Cum-Ex Das sind die größten Wirtschaftsskandale seit der Wende

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Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun muss sich inzwischen vor Gericht verantworten.

Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun muss sich inzwischen vor Gericht verantworten.

(Foto: dpa)

Immer wieder kommen in Deutschland Betrugsfälle ans Tageslicht, die wegen ihrer gigantischen Ausmaße schwer zu fassen sind: Ob Dieselskandal oder Cum-Ex-Betrügereien - Millionen sind im Spiel, viele Menschen beteiligt, die Aufarbeitung gestaltet sich meist schwierig.

Deutschlands fleißigste Cum-Ex-Ermittlerin mag nicht mehr. Anfang der Woche wurde bekannt: Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wirft hin, wechselt zum Verein "Bürgerbewegung Finanzwende". Im Interview mit dem WDR zeigte sie sich frustriert über die Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität in Deutschland: "Täter mit viel Geld und guten Kontakten treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz."

In der Geschichte des wiedervereinten Deutschlands wurde die zuständigen Behörden und Gerichte immer wieder durch Skandale auf die Probe gestellt, bei denen es um große Summen und mächtige Akteure ging. Eine Auswahl:

Cum-Ex

Die, die es wissen wollen, wissen schon lang von seiner Existenz - im Jahr 2012 wird es dann endlich gestopft: das wohl größte Steuerschlupfloch der bundesdeutschen Geschichte. Jahrelang hatten Investoren im In- und Ausland sich vom Staat Kapitalertragssteuern mehrfach zurückerstatten lassen - auch, wenn die nur einmal gezahlt worden waren. Möglich machte das der rasend schnelle Verkauf von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Anspruch auf die Dividende. So konnte das Finanzministerium nicht mehr nachvollziehen, wer im entscheidenden Moment Anspruch auf die Dividende hatte. Die an die Ausschüttung geknüpfte Steuergutschrift konnte von mehreren Parteien eingefordert werden. Der deutsche Staatshaushalt wurde durch diese Cum-Ex-Geschäfte Schätzungen zufolge um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt.

Diese komplexen Finanzgeschäfte wären ohne die Beteiligung von Banken nicht möglich gewesen. Sicher ist: Die Hamburger Warburg und die HSH Nordbank halfen mit, den deutschen Staat auszunehmen. Gegen andere deutsche Geldhäuser ermittelt die Staatsanwaltschaft, untersucht beispielsweise immer wieder Räume der Commerzbank und der Deutschen Bank.

Erst 2021 entscheidet der Bundesgerichtshof: Cum-Ex ist Steuerhinterziehung. Ende 2022 werden erstmals Banker zu Haftstrafen verurteilt, die Cum-Ex-Geschäfte vermittelt hatten. Viele Fälle sind indes weiter offen, die ergaunerten Millionen oft nicht zurückgezahlt.

Diesel-Abgasskandal

Der Volkswagenkonzern verbaut in seinen Autos jahrelang illegale Software, um Abgastests zu manipulieren und die Emissionswerte von Dieselfahrzeugen zu beschönigen. 2015 wird diese Praxis durch Ermittlungen der US-Umweltschutzbehörde öffentlich. Strafzahlungen, Rückrufaktionen, Prozesskosten: Der Skandal kostete den Konzern bis heute mehr als 30 Milliarden Euro.

Infolge des VW-Skandals wird das deutsche Rechtssystem um die "Musterfeststellungsklage" erweitert. ADAC und Verbraucherzentrale gelingt es, mit diesem Instrument stellvertretend für Zehntausende VW-Kunden Entschädigungszahlungen zu erstreiten. Aber nicht nur Volkswagen hat getrickst. Immer wieder ruft das Kraftfahrzeugbundesamt Autos mit "unzulässigen Abschaltvorrichtungen" zurück: Mercedes, Opel, Porsche und Subaru - sie alle sind betroffen.

Das belastet neben der Kundschaft auch die Aktienkurse. Anlegerinnen und Anleger wollen entschädigt werden. Mehrere Rechtsstreite dazu laufen noch. Volkswagen aber beispielsweise zieht sich darauf zurück, seine "kapitalmarktrechtlichen Pflichten" erfüllt zu haben. Ex-Konzernchef Martin Winterkorn ist sich keiner Schuld bewusst.

Panama Papers

2015 bekommen Medien Zugriff auf Millionen von Dokumenten der panamaischen Anwaltskanzlei "Mossack Fonseca". Mails, Verträge und Rechnungen zeigen, wie reiche Menschen über Briefkastenfirmen in Steueroasen jahrzehntelang im großen Stil Steuern hinterzogen und Geld gewaschen haben.

Die Panama Papers finden auch deshalb so viel Beachtung, weil sie die Geschäfte bekannter Persönlichkeiten aufdecken: Sie bringen etwa Licht in das Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Weltfußballer Lionel Messi wird auf ihrer Grundlage gar wegen Steuerhinterziehung verurteilt.

Die Dienste der Kanzlei Mossack Fonseca nutzten mehr als tausend Deutsche. Deshalb kann sich der deutsche Staat mithilfe der veröffentlichten Daten laut "SZ" rund 150 Millionen Euro zurückholen.

Wirecard

Das Kartenhaus des Finanzdienstleisters fällt 2020 in sich zusammen. Wirecard hatte in seiner Bilanz knapp zwei Milliarden Euro ausgewiesen, die tatsächlich nie existierten. Nach Bekanntwerden rauscht der Aktienkurs in den Abgrund, Wirecard meldet Insolvenz an, als erstes Dax-Unternehmen der Geschichte. Strafbefehle gegen das Management folgen.

Chief Operating Officer Jan Marsalek flieht spektakulär, wird mittlerweile von Interpol gesucht und in Russland vermutet. Wirecard-Chef Markus Braun sitzt in Untersuchungshaft, ihm wird in München der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm bandenmäßigen Betrug, schwere Untreue und Marktmanipulation vor. Braun weist die Vorwürfe zurück.

Juristischen Ärger hat auch Wirecards einstiger Wirtschaftsprüfer EY. Das Unternehmen hatte Wirecards Abschlüsse seit 2009 kontrolliert. Insolvenzverwalter Michael Jaffé fordert 1,5 Milliarden Schadenersatz für die geschädigten Anleger und Anlegerinnen. Eine Klage gegen die Finanzaufsicht Bafin lehnt der Bundesgerichtshof zu Beginn des Jahres ab.

Hypo Real Estate

Weit mehr als 100 Milliarden Dollar stellt der deutsche Staat 2008 zur Verfügung, um die taumelnde Hypo Real Estate (HRE) vor dem Untergang zu retten. Die einst größte deutsche Immobilienbank war in den Strudel der internationalen Finanzkrise geraten und drohte die hiesige Bankenlandschaft mit sich zu reißen. Ein Jahr später wird die HRE verstaatlicht - und mit ihr all die faulen Kredite und Wertpapiere.

Manche Anleger und Anlegerinnen fühlen sich aber nicht erleichtert, sondern enteignet. Sie fordern eine höhere Abfindung vom Staat - vergeblich. Auch an das Management der HRE werden Entschädigungsforderungen gestellt: Es habe die Risiken verschwiegen, mit denen die Bank hantierte, die Lage lange schöngeredet.

Vor Gericht aber wird immer klarer: Keiner der Verantwortlichen wird zur Verantwortung gezogen. ntv.de-Reporter Hannes Vogel bringt das 2017 zur Feststellung, halsbrecherisches Risikomanagement sei in Deutschland "zwar verwerflich, aber nicht strafbar." Ein Jahr später wird der Tod von Ex-HRE-Chef Georg Funke gemeldet, der Prozess gegen ihn war zuvor bereits eingestellt worden.

Quelle: ntv.de

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