Wirtschaft

Konkurrenz der Standorte wächst "Deutsche Pharmaindustrie hat an Boden verloren"

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Die deutsche Pharmabranche sieht sich nach dem Produktions- und Umsatzrückgang im vergangenen Jahr wieder auf Wachstumskurs.

Die deutsche Pharmabranche sieht sich nach dem Produktions- und Umsatzrückgang im vergangenen Jahr wieder auf Wachstumskurs.

(Foto: IMAGO/photothek)

Deutschland ist ein attraktiver Standort für die Pharmaindustrie. Doch die Branche gerät laut IW-Expertin Kirchhoff trotzdem zunehmend unter Druck. Ohne entscheidenden Kurswechsel drohe Deutschland im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden, sagt sie im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist gerade auf einer zweitägigen Pharma-Reise in Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt unterwegs. Der Grünen-Politiker will sich ein Bild von den Herausforderungen der Branche machen. Wie geht es der Pharmaindustrie hierzulande?

Jasmina Kirchhoff: Die unterschiedlichen Krisen der vergangenen Jahre gingen natürlich auch an der Pharmaindustrie nicht spurlos vorbei. Wir beobachten aber: Die Branche entwickelt sich in Deutschland deutlich stärker als viele andere Industrien. Das hängt zum einen mit dem hochinnovativen Geschäftsfeld dieser Schlüsselindustrie zusammen. Zum anderen ist die Pharmabranche weniger anfällig für konjunkturelle Schwankungen.

Wie wichtig ist die Pharmaindustrie für Deutschland?

Jasmina Kirchhoff ist Projektleiterin für den Pharmastandort Deutschland am Institut der deutschen Wirtschaft.

Jasmina Kirchhoff ist Projektleiterin für den Pharmastandort Deutschland am Institut der deutschen Wirtschaft.

Die Pharmaindustrie als Spitzentechnologiebranche ist besonders für die notwendige Transformation der Wirtschaft sehr wichtig. Sie ist nicht nur hochinnovativ und investitionsstark, sondern besitzt auch eine hohe Produktivität. Genau solche Branchen braucht es gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, um als Wirtschaftsstandort in Zukunft international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Während viele Branchen mit dem Standort Deutschland hadern, baut der US-Pharmakonzern Eli Lilly in Rheinland-Pfalz ein neues Werk. Was hat den Pharmariesen nach Deutschland gelockt?

Deutschland bietet viele Vorteile, sonst würden nicht eine Reihe von Pharmaunternehmen zum Teil schon seit Jahrzehnten hier forschen, entwickeln und produzieren. Deutschland überzeugt die Unternehmen mit seiner Expertise bei hochinnovativen Forschungs- und Produktionsprozessen. Gerade in der Biopharmazie ist Deutschland neben den USA weltweit immer noch sehr, sehr gut aufgestellt. Deutschland kann Pharma – und das wissen die Unternehmen. Nicht nur unsere Fachkräfte sind top ausgebildet. Auch die Forschungsinstitutionen hierzulande haben im Ausland einen guten Ruf. Darüber hinaus hat Deutschland wichtige Zulieferbranchen. Pharmazeutische Unternehmen brauchen Vorleistungen aus der Chemie, einen starken Maschinen- und einen starken Anlagenbau. Auch damit kann Deutschland trotz der Probleme, die diese Branchen aktuell haben, noch punkten.

Im Gegensatz zu Chip-Konzernen baut Eli Lilly den Standort ganz ohne Subventionen auf. Ist die Pharmaindustrie ein Lichtblick in der aktuellen Standort-Debatte?

Mich verwundert es nicht, dass Deutschland nach wie vor als starker Pharmastandort wahrgenommen wird. Deutlich wird aber, worauf es in Zukunft ankommen wird: Die Pharmabranche braucht keine Subventionen, sondern Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen gut forschen, entwickeln und produzieren können. Die aktuellen Investitionsentscheidungen der Unternehmen sind nicht ad-hoc getroffen worden. Gerade Pharmaunternehmen agieren mit sehr langen Investitions-, Entwicklungs- und Produktionszyklen. Die Politik hat mittlerweile erkannt, wie wichtig es ist, die Pharmaindustrie in Deutschland zu halten.

Der DAX-Konzern Merck steckt mehr als 300 Millionen Euro in ein neues Forschungszentrum in Darmstadt. Wie wichtig sind solche Projekte?

Solche Projekte sind extrem wichtig und genau das, was wir hier am Standort jetzt brauchen. Denn wir müssen im Blick behalten: In den vergangenen Jahren haben viele Länder erkannt, wie wichtig eine eigene starke Arzneimittelentwicklung vor Ort ist - denn sie erhält nicht nur den Wohlstand, sondern auch die Versorgungssicherheit. Entsprechend stellen sie sich auf. Neben dem global führenden Forschungsstandort USA wird China immer stärker. Aber auch Länder wie Südkorea, Spanien und Frankreich holen auf. Die deutsche Pharmaindustrie hat an Boden verloren. Nicht nur bei den Forschungsaktivitäten entwickeln wir uns im internationalen Vergleich nur noch mittelmäßig. Ähnlich sieht es bei der Entwicklung der Patentanmeldungen aus. Auch als Standort für klinische Studien fällt Deutschland seit Jahren gegenüber anderen Ländern zurück. Wenn wir wollen, dass medizinische Innovationen auch in Zukunft aus Deutschland kommen, müssen wir konsequent den von der Politik eingeschlagenen Weg zur Stärkung des deutschen Pharmastandorts weiterverfolgen und umsetzen.

Die Pharmaproduktion hat sich in der Vergangenheit mit China und Indien immer mehr auf wenige Herstellungsstätten konzentriert. Wie gefährlich ist die daraus resultierende Abhängigkeit?

Die Konzentration auf einige wenige Standorte wird vor allen Dingen im generischen Bereich diskutiert, also bei Nachahmermedikamenten von Arzneimitteln, die keinen Patentschutz mehr haben. Das sind häufig Standardarzneimittel wie Kinderhustensaft oder Antibiotika, die uns in der Vergangenheit immer wieder gefehlt haben. Das sogenannte Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz ist ein erster Schritt gewesen, um die Versorgung gerade mit generischen Arzneimitteln wieder zu stärken. Man muss aber ganz klar sagen: Das Gesetz hat nicht dazu geführt, dass die Unternehmen in Scharen zurückgerannt gekommen sind.

Wieso?

Für viele Unternehmen lohnt es sich nach wie vor nicht, in Deutschland zu produzieren. Das Gesetz hat Kinderarzneimittel und Antibiotika in den Blick genommen und damit nur einen kleinen Teil der Generika. Außerdem würde eine Rückverlagerung Jahre dauern und wäre teuer. Unter den aktuellen Voraussetzungen lohnt sich das für die betreffenden Unternehmen nicht. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, wie die Produktion von patentfreien Generika zurück nach Deutschland geholt werden kann, sollte das Ziel darin bestehen, dass auf dem globalen Markt grundsätzlich wieder mehr Hersteller produzieren – natürlich gerne auch in Deutschland und Europa - und den innovativen Pharmastandort stärken.

Und das wäre kein Problem für die Versorgungssicherheit?

Über eine Diversifizierung auf dem globalen Markt werden Lieferketten robuster. Und wenn es uns gelingt, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen es sich auch in Zukunft lohnt, sowohl innovative als auch generische Arzneimittel herzustellen, hätte das natürlich einen entscheidenden Vorteil: Setzen wir für die innovativen Pharmaunternehmen am Standort die richtigen Bedingungen, besteht nicht die Gefahr, dass wir in Zukunft bei innovativen Arzneimitteln vom Ausland abgehängt und auch hier abhängig werden. Innovative Arzneimittelhersteller könnten außerdem, nachdem sie ihren Patentschutz verloren haben, weiterhin in Deutschland produzieren. Damit stärken wir die generischen Arzneimittel der Zukunft und sind unabhängig vom Ausland.

Die Bundesregierung hat Ende vergangenen Jahres eine neue Pharmastrategie beschlossen. So sollen unter anderem schnellere Zulassungsverfahren und unbürokratischere Genehmigungen die Arzneiforschung in Deutschland stärken. Reicht das?

Das sind für die Pharmaindustrie in Deutschland wichtige Punkte, die hier angegangenen werden sollen, und die Strategie ist damit ein wichtiges und richtiges Signal an die Wirtschaft. Die Politik hat erkannt, wie wichtig die Pharmaindustrie als Spitzentechnologie für Deutschland ist. Die Strategie ist bislang noch kein echter Game Changer, kann es aber werden. Denn als Maßnahmenbündel beruht die Strategie bisher im Wesentlichen darauf, was in anderen Ländern bereits gang und gäbe ist.

Kann Deutschland den Vorsprung anderer Länder denn noch aufholen?

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Die Pharmastrategie hilft dabei, dass wir im internationalen Wettbewerb nicht weiter den Anschluss verlieren. Wir können wieder ganz oben mitspielen, wenn nicht nur die darin enthaltenen Maßnahmen schnell und verlässlich umgesetzt werden, sondern auch weitere bestehende Hemmnisse für die Pharmaforschung abgebaut werden. Momentan stehen die Pläne nämlich noch unter einem Finanzierungsvorbehalt, und nicht alle der Maßnahmen sind bereits konkret ausformuliert.

Mit Jasmina Krichhoff sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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