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Sebastian Fischer

Die Lage am Morgen Kann Merz Kanzler?

Heute geht es um den Endgegner von Friedrich Merz auf seinem Weg zur Kanzlerschaft, die Propaganda prorussischer Ukrainer in Deutschland und Leerflüge von Regierungsmaschinen.

Prorussische Ukrainer

Wie perfide Moskau in seinem Propagandafeldzug gegen die Ukraine und den Westen vorgeht, das zeigt das Beispiel von Jurij Dudkin.

Der 63-Jährige aus der Ukraine bejubelte im Februar 2022 auf Facebook den russischen Überfall auf seine Heimat, sechs Monate später erhielt er in Deutschland vorübergehenden Schutz als Kriegsflüchtling. Dudkin tritt regelmäßig als Experte in prorussischen Medien auf und wettert gegen »das Naziregime in Kiew«.

Kriegstreiber Medwedtschuk, Putin (im Juli 2019)

Kriegstreiber Medwedtschuk, Putin (im Juli 2019)

Foto: Mikhail Klimentyev/ AP/ DPA

Ein SPIEGEL-Team um meine Kollegen Maik Baumgärtner und Wolf Wiedmann-Schmidt berichtet vom Verdacht westlicher Geheimdienste, dass Leute wie Dudkin hierzulande im Sinne Moskaus Einfluss auf die politische Stimmung ausüben sollen. Er wird demnach einem Netzwerk um Wiktor Medwedtschuk zugerechnet, einem Vertrauten Putins.

Vor wenigen Wochen erst hat Tschechien einen Teil von Medwedtschuks Einflussoperationen aufgedeckt: Das in Prag ansässige Propagandamedium »Voice of Europe« soll nach Überzeugung der Nachrichtendienste auch dazu gedient haben, moskaufreundlichen Politikern verdeckt Geld zuzuschanzen. Zu ihnen gehört mutmaßlich der AfD-Politiker Petr Bystron, der die Vorwürfe bestreitet.

Und so schließt sich der Kreis.

Die Dämonen des Friedrich Merz

Eigentlich läuft es für Friedrich Merz kurz vorm CDU-Bundesparteitag, der am Montag startet. Bei 30 Prozent und mehr liegt die Union in den Umfragen. Im Falle vorgezogener Wahlen zum Bundestag hieße der Kanzlerkandidat mit großer Wahrscheinlichkeit: Merz. Ebenso hieße wohl der nächste Kanzler. Eigentlich.

Aber erstens ist nicht von vorgezogenen Bundestagswahlen auszugehen; und zweitens könnte Merz sein gefährlichster Gegner in die Quere kommen: er selbst.

CDU-Politiker Merz

CDU-Politiker Merz

Foto: Michael Kappeler / dpa

Mein Kollege Konstantin von Hammerstein hat den CDU-Vorsitzenden über viele Monate begleitet, im In- und Ausland. Ergebnis ist eine fulminante SPIEGEL-Titelgeschichte über den Mann, der sich anschickt, der zehnte Kanzler der Bundesrepublik zu werden, wenn nicht … Sie wissen schon.

Merz sei »ein hochintelligenter Mensch, der im kleinen Kreis sehr offen und auch selbstkritisch ist«, sagt Konstantin. Der CDU-Mann kenne die eigenen Schwächen ziemlich genau, »er arbeitet dran, aber wie soll er seine Persönlichkeit ändern mit 68?« Man könne Merz lesen, »wie ein offenes Buch, das ist seine große Schwäche«.

Markus Söder, Merz’ möglicher Rivale um die Kanzlerkandidatur der Union, wird womöglich erst mal Konstantins Porträt lesen.

Europa hat Geburtstag

Kennen Sie den Unterschied zwischen Europäischem Rat und Europarat? Fangfrage aus dem ersten Semester Politikwissenschaften. Antwort: Der Europarat ist die älteste politische Organisation der Europäer und hat nichts zu tun mit der Europäischen Union (EU), deren Europäischer Rat wiederum die Versammlung der Staats- und Regierungschefs ist.

Also der Europarat: Am Sonntag ist 75-jähriges Jubiläum, die Bundesrepublik trat 1950 bei, die DDR war nie Mitglied (dafür aber das Saarland). Heute sind 46 europäische Länder am Start, darunter alle EU-Staaten. Russland ist seit dem Überfall auf die Ukraine raus.

Gebäude des Europarats in Straßburg

Gebäude des Europarats in Straßburg

Foto: Dirk Sattler / IMAGO

Im Zentrum der Arbeit des Europarats: der Schutz von Menschenrechten und Demokratie. Dafür hat er den Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Richtersprüche bindend sind für verurteilte Länder. Vor zwei Jahren zum Beispiel hinderte der EGMR die Briten daran, Asylsuchende nach Ruanda auszufliegen. Premier Rishi Sunak hat das Problem kürzlich auf andere Weise gelöst: Er hat angekündigt, einstweilige Verfügungen des Gerichtshofs künftig zu ignorieren.

Merke: Institutionen schützen vor politischer Dummheit nicht (zweites Semester Politikwissenschaft).

Mehr Hintergründe lesen Sie hier: Sunak lässt Migranten festnehmen, um sie nach Ruanda abschieben zu können

DER SPIEGEL 19/2024

Der Risikokandidat

Lange verzweifelte die CDU an ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz, seine Unberechenbarkeit wird so gefürchtet wie seine Wutausbrüche. Nun scheint er sich im Griff zu haben. In der CDU gilt er als der nächste Kanzlerkandidat. Aber was passiert, wenn der Druck steigt?

Lesen Sie unsere Titelgeschichte, weitere Hintergründe und Analysen im digitalen SPIEGEL.

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Verlierer des Tages …

… ist die Luftwaffe. Weil trotz des Umzugs von Regierung und Parlament im Jahr 1999 von Bonn nach Berlin die Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums ihren Standort noch immer in Köln-Wahn hat. Auch der erste Dienstsitz des Wehrressorts ist weiterhin auf der Bonner Hardthöhe, der zweite im Berliner Bendlerblock.

Regierungsmaschine der Luftwaffe

Regierungsmaschine der Luftwaffe

Foto: Sina Schuldt / dpa

Für Dienstflüge der Regierungsmitglieder seit Amtsantritt der Ampel mussten deshalb 1301 Leerflüge zurückgelegt werden, um die Maschinen von Köln-Wahn zum Abflugort zu bringen, meist nach Berlin. Das Verteidigungsministerium betont, dass solche Flüge ohne Passagiere zur »Aus- und Weiterbildung« der Luftwaffe genutzt würden.

Ich erinnere mich leider allzu gut an einen Flug in der Regierungsmaschine mit Kanzler Olaf Scholz nach einem Besuch in den Niederlanden zurück in Richtung Berlin. Über Niedersachsen wurde es reichlich ungemütlich.

Nach der Landung in Berlin-Schönefeld blieb die Crew im Flugzeug, sie mussten spätabends ja wieder in die Gegenrichtung, zurück nach Köln-Wahn. Also noch einmal durchs Unwetter. Das tat mir leid, die Soldatinnen und Soldaten aber waren entspannt. Der Leerflug bedeutete fürs Kabinenpersonal: weniger Arbeit. Turbulenzen hin oder her.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Diese Geschichte möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

Immer dann, wenn unser Gehirn sich mit einem anderen synchronisiert, spüren wir eine Verbindung zu diesem Menschen

Immer dann, wenn unser Gehirn sich mit einem anderen synchronisiert, spüren wir eine Verbindung zu diesem Menschen

Foto:

Jan Philip Welchering / DER SPIEGEL

Einfach mal zuhören, bitte: Wer für andere ein offenes Ohr hat, ist erfolgreicher, glücklicher und versteht die Welt besser. Aber was macht gutes Zuhören eigentlich aus? Meine Kollegin Maren Keller ist dieser Frage nachgegangen. Dabei ist sie auch auf einen Essay der Historiker Svenja Goltermann und Philipp Sarasin gestoßen. Die beiden stellen darin fest, dass in unserer Zeit so viel über das Zuhören gesprochen wird wie noch nie seit mehr als 200 Jahren. Goltermann und Sarasin schreiben: »Alle sprechen heute vom Zuhören, paradox ist allein, dass gleichzeitig der Eindruck vorherrscht, es würde zu wenig zugehört und die Gesellschaft drohe deswegen auseinanderzudriften, ja zu zerreißen.« 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros