Auch in den sogenannten guten alten Zeiten hakte es mit dem viel zitierten Generationenvertrag. Zwar wurde generationsübergreifend Rommé gespielt. Die Großeltern bestimmten, dass erst ab 40 Augen ausgelegt wird. Und so lief das Spiel stets gleich: Je dünner der Kartenstapel, desto überforderter war das Kind, die vielen Karten noch in der kleinen Hand zu halten – bis Oma oder Opa schließlich in einem Zug ablegten.
Rommé ist aus der Mode geraten, wie Capri-Sonne, Kettcar und Karl May. Als Symbol eines gesellschaftlichen Zustands aber kennen auch heutige junge Menschen diese Art Rommé-Frust.
Zahlenmäßig sind wir schon längst eine Altenrepublik – und dieser Trend verschärft sich. Unabhängig davon, welche Annahmen über Geburten- und Sterberate, Zu- und Abwanderung wir treffen: In den kommenden Jahrzehnten werden von Saarbrücken bis Greifswald immer mehr Ältere und weniger Junge leben.
Deutschland ist eine Seniorendemokratie
Dass der demografische Wandel auf unseren Alltag wirkt, haben wir inzwischen begriffen: In der Pflege fehlen die Arbeitskräfte. Wegen Personalmangels fällt der Bus zum Supermarkt aus. Die Traditionsbäckerei findet keinen Nachfolger und schließt. Dass dieser Wandel zugleich ein demokratisches Problem ist, wird oft übersehen: Mit unserer wachsenden Mehrheit haben wir Älteren die Macht. Wir sind eine Seniorendemokratie.
Wohin es führt, wenn wir vorrangig die Interessen Älterer bedienen, lässt sich am Rentensystem ablesen. Es ist als milliardenschwere Umverteilung von Jung nach Alt organisiert: Die Arbeitenden finanzieren die Renten der Gegenwart. Wenn für die Älteren alles beim Alten bleibt soll, zahlen die Jungen.
Den größten Rucksack haben wir mit der doppelten Haltelinie ausgerechnet unseren Jüngsten aufgesetzt: Wer 1991 oder danach geboren ist, muss sein gesamtes Arbeitsleben lang die ausbleibenden Beitragssatzsteigerungen und Rentenniveaukürzungen der vorigen Jahrgänge mitfinanzieren.
Vor drei Jahren verdonnerte das Bundesverfassungsgericht die Politik, Klimaschutz nicht zulasten künftiger Generationen zu verschleppen. In diesem Geiste müsste Generationengerechtigkeit zum Prinzip gemacht werden – und zwar für alle Aspekte der Transformation.
Digitalisierung wurde verschleppt
Das Internet zum Beispiel wird nicht nur für TikTok-Videos gebraucht. Jährlich bringt der Netzausbau in Deutschland gut fünf Milliarden Euro Wertschöpfung. Von 2013 bis 2020 trug er knapp zehn Prozent zum Wachstum bei. Regionen, die kontinuierlich ausbauen, profitieren wirtschaftlich – in der Stadt wie auf dem Land. Eine günstige digitale Infrastruktur zieht Fachkräfte und Studierende an. Sie ist gerade für ländliche Regionen ein wichtiger Standortfaktor. Landratsämter, die vor allem in Seniorenbusse investieren und nicht zugleich ins Digitale, müssen sich fragen lassen, ob sie die Zukunft ihrer Region im Blick haben.
Auch in der Bildung haben wir die Digitalisierung lange verschleppt. Wir brauchen mehr Tempo und weniger Bürokratie, zudem müssen nicht nur Lernende, sondern auch Lehrkräfte fit gemacht werden. Der Digitalpakt läuft im Mai aus, aber noch immer ist keine Ausgestaltung des Nachfolgers bekannt.
Im Februar hat die Kultusministerkonferenz mit dem Startchancenprogramm einen Gamechanger in Sachen Chancengerechtigkeit ins Rollen gebracht. Hier wird nicht mehr mit der Gießkanne gefördert, sondern gezielt: Etwa 4000 bedürftige Schulen erhalten dringend benötigte Unterstützung. Anders als andere Programme hat das Vorhaben ein klares Ziel: In zehn Jahren sollen an den Schulen nur noch halb so viele Lernende die Standards in Mathe und Deutsch verfehlen. Ein Schritt in die richtige Richtung – aber es ist noch viel zu tun.
Wer derartige gute Vorschläge für Bildungspolitik braucht, muss nur hinhören: Unter anderem in der Bundesschülerkonferenz organisieren sich viele engagierte Jugendliche. Für Verantwortliche in Politik und Betrieben lohnt es sich, mit jungen Leuten über ihre Vorstellungen ins Gespräch zu kommen und sie zum Engagement zu ermutigen.
Wahlalter muss herabgesetzt werden
Die Bedürfnisse jüngerer und künftiger Generationen werden für unsere Gesellschaft immer wichtiger, ihr Mitspracherecht aber schrumpft von Tag zu Tag. Weil sie immer weniger werden. Und weil diese Wenigen kaum etwas mitzubestimmen haben. Wir können nicht wollen, dass ihre Stimme noch leiser wird. Deshalb müssen wir das Wahlalter endlich generell auf 16 herabsetzen.
Wenn im Juni in Europa gewählt wird, gilt zum Glück nicht mehr das alte Motto „Opa für Europa“. Auch 16- und 17-Jährige dürfen wählen. Für die Bundestagswahl 2025 würde die Regierung das Wahlalter ebenfalls gerne senken. Doch das Vorhaben wird von denen verhindert, die glauben, bei den Jüngeren weniger zu punkten.
Machttaktisch ist das erklärbar. Aber wenn wir die Jungen ignorieren, gefährden wir die Zukunftsfähigkeit unserer demokratischen Gesellschaft. Neue Mehrheitsverhältnisse schaffen wir mit dem Wahlalter zwar nicht: 19,2 Millionen Menschen sind 65 Jahre oder älter, die Jahrgänge 2007 und 2008 zählen gerade einmal 1,6 Millionen Köpfe. Als Signal aber, dass wir junge Stimmen ernst nehmen, ist die Absenkung nötig. Und als Anreiz für Parteien, sich stärker um sie zu bemühen.
Zu viel politische Altenfreundlichkeit liegt ohnehin nur scheinbar im Interesse der Älteren. Aus Befragungen wissen wir, dass den Generationen im Prinzip dasselbe wichtig ist: Altersvorsorge, Gesundheit, Pflege, Klimaschutz. Wenn die Gemeinsamkeiten größer sind als die Unterschiede – warum machen wir politisch bislang so wenig daraus? Unter anderem, weil es hakt, sobald es an die Umsetzung und spürbare Veränderungen geht. Dann zeigen sich in schöner Regelmäßigkeit die Beharrungskräfte unserer alten Republik.
Lebenswerte Gesellschaften aber können nicht entstehen, wo Klientelpolitik für die Alten gemacht wird. Sie entstehen auch nicht, wo die Älteren abserviert werden. Sondern: Wo alle einbezogen werden. Deutschland hat in diesem Spiel keine schlechten Karten – wenn sie nicht nur in den Händen der Eltern und Großeltern gehalten werden.
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