Schärfere Gesetze:Innenminister wollen Wahlkämpfer schützen

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Hamburgs Innensenator Andy Grote und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) informieren über die Ergebnisse der Konferenz. (Foto: Georg Wendt/dpa)

Nach der Prügelattacke auf einen SPD-Politiker sollen härtere Strafen mehr Sicherheit schaffen. Doch schnell können Gesetzesänderungen den Betroffenen nicht helfen. Über die Details droht auch noch neuer Streit.

Von Markus Balser und Constanze von Bullion, Berlin

Die Attacke war brutal, der Aufschrei laut. Nun sollen Konsequenzen folgen, zumindest war das der Plan. Nachdem dem SPD-Europapolitiker Matthias Ecke beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden am Freitag die Gesichtsknochen zertrümmert wurden, haben die Innenressortchefs von Bund und Ländern am Dienstagabend in einer Videoschalte neue Schutzmaßnahmen für politische Amts- und Mandatsträger beschlossen. Die Vorlage allerdings enthält Maßnahmen und Prüfaufträge, die die Lage der gefährdeten Kommunalpolitiker auf die Schnelle kaum verbessern können.

Dabei warnten die Innenminister nach dem Treffen eindringlich vor wachsenden Gefahren. Die neuen Übergriffe stünden für eine gesellschaftliche Entwicklung, bei der Menschen "nicht nur mit Worten, sondern mit Gewalt, Hass und Hetze" politische Ziele durchsetzen wollten. sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), der Vorsitzende der Innenministerkonferenz. Immer mehr Menschen hätten Angst, ihre Meinung zu äußern oder sich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Innenministerin Faeser verspricht mehr Härte

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) signalisierte Entschlossenheit. "Wir müssen jetzt mit mehr Härte gegen Gewalttäter und mehr Schutz für politisch Aktive handeln", forderte sie. Gewalttäter müssten die volle Härte des Rechtsstaats spüren. Die Polizei könne zwar nicht überall sein und an jedem Wahlkampfstand stehen: "Aber sie kann Schutzkonzepte anpassen." Die Zahl der Angriffe auf Mandatsträger sei 2023 im Vergleich zu 2022 um 53 Prozent gestiegen.

Die Innenressortchefs von Bund und Ländern wollen nun unter anderem eine Verschärfung des Strafrechts vorantreiben. Bislang bilde es die Bedrohung für Amts- und Mandatsträger, aber auch für Ehrenamtliche "nicht mehr hinreichend ab", sagte der CDU-Politiker Stübgen. Dabei gehe es vor allem um die Straftatbestände der Körperverletzung und der Nötigung. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte bereits eine Bundesratsinitiative zur Strafverschärfung bei Angriffen auf Politiker und Wahlhelfer angekündigt. Zumindest einige Innenminister der unionsgeführten Länder wollen sie unterstützen.

Bundesweit soll damit durchgesetzt werden, was Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) mit dem sächsischen Innenminister Schuster in Dresden präsentierte. Dort wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, der den Tatbestand der Nötigung erweitert. Schon jetzt stellt das Strafgesetzbuch Angriffe, Beleidigungen oder Einschüchterung unter Strafe, die sich gegen Vertreter von Verfassungsorganen des Bundes und der Länder richten. Künftig soll dies auch für die Repräsentanten europäischer und kommunaler Institutionen gelten - etwa bei Fackelaufmärschen vor Wohnhäusern. Sachsen bekämpfe politisches Stalking und schließe Strafbarkeitslücken.

Die Strafverschärfung soll nun auch in anderen Bundesländern durchgesetzt werden und schnell im Bundesrat verabschiedet werden, kündigte Brandenburgs Innenminister Stübgen an. Ob das klappt, ist allerdings noch keineswegs gewiss.

Trotz des Entsetzens herrscht keine Einigkeit über die angemessene Reaktion

Denn die Pressekonferenz nach dem Treffen machte auch deutlich, dass die Länder untereinander - aber auch Bund und Länder - noch immer uneins über die richtige Reaktion sind. Zudem zeigte sich in der Debatte ein spürbares Ost-West-Gefälle. In westdeutschen Flächenländern wie Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Niedersachsen sieht man tendenziell eher keinen Anlass, bestehende Strafrechtsnormen zu verschärfen oder neue Maßnahmen zu ergreifen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte schon vorab zu verstehen gegeben, im Freistaat gebe es bereits seit vier Jahren ein "umfangreiches Schutzkonzept" für Inhaber politischer Ämter oder Mandate, aber auch für Staatsbeamte und Gerichtsvollzieher. Ihnen werde Beratung für kritische Situationen angeboten und bei drohenden Übergriffen ein kurzer Draht zur Polizei.

In München betrachtet man das Konzept als erfolgreich. Demnach hatte sich in Bayern zwischen 2019 und 2021 die Zahl der Angriffe auf Politiker und Kommunalbeamte nahezu verdreifacht. 2022 und nach Einführung eines Schutzprogramms nahm sie um knapp 35 Prozent ab, stieg zuletzt allerdings wieder leicht an. Der Anteil der Gewaltdelikte an den Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sei gering, betonte Herrmann am Dienstag. Er sprach sich dafür aus, bestehende Gesetze härter anzuwenden, statt neue zu schaffen.

Auch in Niedersachsen gibt es ein Programm zum Schutz von politischen Amtsträgern. Nach steilem Anstieg von 2019 an zeichne sich auch hier ab, dass die Übergriffe auf Kommunalpolitiker und Beamte 2023 zurückgingen, hieß es im Innenministerium in Hannover. Die Tendenz setze sich fort. "Wir haben bereits Gesetze, die hier für eine entsprechende Strafverfolgung gelten", erklärte Innenministerin Daniela Behrens (SPD). Dennoch sorgten die aktuellen Verhältnisse bedauerlicherweise dafür, dass Bund und Länder weitere Verschärfungen "prüfen müssen".

Es bleiben Zweifel, ob dieses Sondertreffen wirklich etwas verändern kann

Sachsens Innenminister Schuster plädierte für mehr Polizeipräsenz. Man müsse noch näher an die Wahlhelfer heranrücken. Zwar könnten die Behörden keine "Manndeckung" spielen, aber eine "Raumdeckung". Dafür sei das Land aber auf Informationen der Parteien angewiesen, wo und wann Wahlkämpfer unterwegs sind, um Polizeistreifen in diese Gegenden zu schicken.

Was das Treffen tatsächlich bewirken wird, blieb am Dienstag offen. Denn auch in der Bundesregierung droht eine Hängepartie. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hält grundsätzlich eher wenig von Strafverschärfungen aus aktuellem Anlass, der Gesetzentwurf aus Sachsen lag ihm zunächst noch gar nicht vor. "Körperverletzungsdelikte wie jetzt in Dresden sind strafbar. Die Beschuldigten werden der Strafverfolgung zugeführt", sagte eine Sprecherin. Für neue Gesetze, so war das zu verstehen, sehe man derzeit eher keinen Anlass. Eine rasche Lösung - und Verbesserung für Politiker ist damit auf diesem Weg gar nicht in Sicht.

Dabei drängt die Zeit. Kurz hintereinander waren zuletzt mehrere Politikerinnen und Politiker bedrängt, teilweise geschlagen oder bei Wahlkampfveranstaltungen heftig angepöbelt worden. Am härtesten traf es in Sachsen den SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke. Nach der Attacke beim nächtlichen Aufhängen von Plakaten in Dresden musste er operiert werden. Mindestens einer der vier Tatverdächtigen ist der Polizei wegen rechtsextrem motivierter Straftaten bekannt. Aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Grünen waren zuletzt immer öfter mit gewalttätigen Übergriffen im Wahlkampf konfrontiert, ein AfD-Politiker in Nordhorn ebenfalls.

Auf der Suche nach wirkungsvollen Instrumenten zur Vermeidung solcher Taten allerdings taten sich die Innenminister von Bund und Ländern am Abend hörbar schwer. Schon im Vorfeld des Treffens war es zu erheblicher Verstimmung gekommen. In unionsregierten Ländern war von Chaos, unabgesprochenem Aktionismus und einer "PR-Aktion" die Rede.

Gemeint war Faeser. Denn sie war es, die am Wochenende zu der Sonderkonferenz gedrängt hatte. Üblich sei aber, so die Länder, dass der Bund von den Landes-Innenministern eingeladen werde, anstatt selbst einzuladen. Dass Faeser mehr Präsenz der Länderpolizeien an lokalen Wahlkampfständen gefordert hatte, soll insbesondere in Sachsen für Ärger gesorgt haben. Schließlich arbeiteten die Landesbeamten vielerorts bereits am Limit. Zudem sei es der sächsischen Polizei gelungen, sehr schnell vier Tatverdächtige zu identifizieren. Man brauche keine Belehrung aus Berlin.

Uneins waren unions- und SPD-geführte Länder aber auch darüber, wer in welcher Pressekonferenz die Ergebnisse verkündet. Nach heftigen Kontroversen zwischen den Staatskanzleien und dem Bundesinnenministerium wurden Faesers geplanter Pressekonferenz mit Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) kurzfristig noch Innenminister der Union zugeschaltet. Und ein Beschlusspapier, das eigentlich direkt nach solchen Sitzungen verschickt wird, lag zunächst nicht vor. Man arbeite noch daran.

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:Spuren ins Rechtsextreme

Recherchen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR erhärten den Verdacht: Die jungen Männer, die am Freitag in Dresden Matthias Ecke zusammengeschlagen haben sollen, besitzen wohl Verbindungen in die rechtsradikale Szene.

Von Johannes Bauer, Sebastian Erb, Ben Heubl, Martin Kaul, Christoph Koopmann und Kristiana Ludwig

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