CDU-Beschluss:Ein neues Wehrpflichtmodell für Deutschland

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Dienst in der Bundeswehr im Jahr 2018: Soldatinnen und Soldaten des Sanitätsregiments 2 bei einem Marsch. (Foto: Rainer Unkel/imago images)

Zur Stärkung der Bundeswehr strebt die CDU ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Menschen an. In der SPD gibt es den Vorschlag einer Musterung für alle, aber keinen Zwangsdienst. Der FDP geht beides zu weit.

Von Georg Ismar

Johann Wadephul ist der Meinung, es könnten nicht 80 Millionen auf der Zuschauertribüne sitzen, während 180 000 Bundeswehrsoldaten die Republik verteidigen sollen. Deswegen brauche es jetzt - und nicht irgendwann - erste Schritte zu einer Wehrpflicht, betont der stellvertretende Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion. Der CDU-Politiker fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu Verhandlungen im Bundestag auf, es brauche dafür auch mehr Liegenschaften, neue Kasernen.

Denn die CDU hat bei ihrem Bundesparteitag eine große, in der Deutlichkeit überraschende Kehrtwende vollzogen. Am 24. März 2011 hatten Union und FDP im Bundestag die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli beschlossen - nun will die CDU dahin schrittweise zurück, mit einem neuen Modell. "Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen. Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingentwehrpflicht", heißt es in einem Passus, der in das neue Grundsatzprogramm aufgenommen wurde. Aus Sicht von CSU-Chef Markus Söder ist das auch wichtig, um jungen Menschen wieder "eine stärkere Bindung zu unserem demokratischen Rechtsstaat zu geben". Das alles ist noch nicht näher ausbuchstabiert, aber die zunächst geplante Kontingentwehrpflicht ähnelt den zuletzt diskutierten Modellen, wie etwa dem in Schweden.

Dort müssen alle Männer und Frauen rund um ihren 18. Geburtstag einen Fragebogen ausfüllen, auch zur körperlichen Fitness - und erklären, ob sie freiwillig zu einem Wehrdienst bereit wären. Dann werden die Geeignetsten angeschrieben und zu einer Musterung gebeten, da nur ein bestimmter Prozentsatz pro Jahr ausgebildet werden kann. Wenn es nicht genug Freiwillige gibt, kann es aber auch Zwangsverpflichtungen geben. Alles, was über das Prinzip der Freiwilligkeit hinausgeht, birgt in Deutschland aber rechtliche Probleme, Stichwort Wehrgerechtigkeit - wenn einige verpflichtet werden, andere aber nicht. Daher würde es bei der zunächst geplanten Kontingentwehrpflicht sehr auf die Details ankommen. Zudem müssten heute eigentlich aus Gerechtigkeitsgründen Frauen miteinbezogen werden. Bisher ist im Grundgesetz aber die - ausgesetzte Wehrpflicht - nur für Männer vorgesehen.

20 000 neue Soldaten pro Jahr braucht es, um allein die Abgänge zu kompensieren

Schrittweise will die CDU aber ohnehin ein für alle verpflichtendes Gesellschaftsjahr, sei es ein Dienst bei der Bundeswehr, in sozialen Berufen oder etwa im Katastrophenschutz oder bei den Sanitätern. In der Ukraine zeigt sich, wie wichtig auch ausreichend Personal in diesen zivilen Bereichen ist. Die Pflicht könnte sich dann auf etwa 600 000 volljährig gewordene Deutsche pro Jahrgang beziehen.

Wegen der Spannungen mit Russland dringt die Union auf rasche Lösungen, denn die Bundeswehr braucht eigentlich pro Jahr etwa 20 000 neue Soldaten, um Abgänge zu kompensieren. Von der geplanten Aufstockung auf 203 000 Soldaten ist man weit entfernt, zudem gibt es für den Ernstfall zu wenig Reservisten. Im Kalten Krieg konnte man inklusive Reservisten noch auf 1,3 Millionen Soldaten im Kriegsfall zurückgreifen. Früher war es zudem so, dass sich ein Teil der Wehrdienstleistenden danach als Zeit- oder Berufssoldaten verpflichtete.

Pistorius fordert die Kriegstüchtigkeit der Deutschen

Pistorius betont, dass man mindestens wieder die Möglichkeit brauche, alle Jahrgänge zu erfassen und zu mustern - die Wehrpflicht ist ohnehin nur bis zu einem Spannungs- und Verteidigungsfall ausgesetzt. Ansonsten hätte man gar keine Basis, wen man überhaupt rekrutieren könnte. Pistorius hat den Begriff der Kriegstüchtigkeit geprägt, er hält unter Verweis auf Experten einen Krieg Russlands gegen die Nato in fünf bis acht Jahren für möglich.

Sein Sprecher betonte, der Minister werde noch in diesem Quartal, also bis Juni, eigene Vorschläge unterbreiten. Er hat zuletzt Sympathien für das schwedische Modell erkennen lassen, da man mangels Kasernen, Ausbildern und Waffen ohnehin nicht alle zu einem Dienst verpflichten könnte. Das würde also eine Erfassung oder auch Musterung aller bedeuten - aber mit freiwilligem Wehrdienst.

Der FDP geht schon das zu weit: Er sei zwar offen für Modelle, einen Überblick über die Tauglichkeit eines Jahrgangs zu gewinnen, aber eine Musterungspflicht lehne er ab, sagt der liberale Verteidigungspolitiker Nils Gründer. Eine neue Wehrpflicht schiebe die Verantwortung auf die Schultern der jungen Menschen. "Es liegt an uns, die personellen und materiellen Voraussetzungen zu schaffen. Eine Wehrpflicht würde zu zusätzlicher Belastung der Bundeswehr führen und die Probleme verschärfen."

Die tauglich Gemusterten müssten erklären, ob sie dienen wollen

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Debatte im Bundestag zur Aussetzung der Wehrpflicht im März 2011. "Herr Minister de Maizière, lassen Sie uns vorsichtig dabei sein, Fähigkeiten allzu leichtfertig aus der Hand zu geben", sagte damals der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels. "Es kann einen raschen politischen Wandel geben - zum Guten und zum weniger Guten. Wir sollten deshalb nicht allzu schnell in die Lage kommen, sagen zu müssen: Die Bundeswehr kann das nicht mehr." Die SPD stimmte gegen die Aussetzung und schlug vor, zumindest Erfassung und Musterung beizubehalten. Genau das, was nun Pistorius wieder einfordert.

Bartels war später auch der Wehrbeauftragte. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sagte er, man müsse für eine Musterung auch nicht die Strukturen der Kreiswehrersatzämter wieder aufbauen, sondern könne das vielleicht auch über Haus-, Betriebs- und Truppenärzte machen. Bartels rät seiner Partei und damit auch Pistorius und Kanzler Olaf Scholz (SPD), einfach die eigenen Vorschläge von 2011 neu umzusetzen. Also eine Wehrerfassung und Musterung für alle. Die tauglich Gemusterten müssten dann erklären, ob sie auch freiwillig dienen würden.

Wäre diese Zahl hoch genug, könnten davon nach Eignung und Bedarf so viele Rekruten eingezogen werden wie erforderlich. In einem Beitrag für das Magazin Europäische Sicherheit & Technik hat Bartels das Modell die "Auswahlwehrpflicht" getauft. Er schlägt eine Zahl von bis zu 40 000 pro Jahr vor, von denen sich vielleicht 10 000 als Zeitsoldaten weiterverpflichten würden. Bartels begrüßt, dass die Debatte nun durch den CDU-Beschluss endlich mehr Fahrt aufnehme. "Wir haben schon viel zu viel Zeit verschenkt."

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