Brüssel:EU schickt russische Milliarden in die Ukraine

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"Positive Nettozinserträge": Die EU-Mitgliedstaaten wollen russisches Staatsvermögen auf EU-Banken nicht antasten, wohl aber die Zinsgewinne. (Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa)

Die Europäische Union will Zinsgewinne aus eingefrorenen Mitteln der Moskauer Notenbank an Kiew überweisen. Das Geld soll vor allem dem ukrainischen Militär helfen.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Etwa drei Milliarden Euro mehr pro Jahr. Damit kann die ukrainische Regierung rechnen. Am Mittwoch einigten sich Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel auf einen Plan, außerordentliche Erträge aus eingefrorenem russischen Vermögen künftig zugunsten der Ukraine zu verwenden. Mit dem Geld sollen vor allem Waffen- und Munitionskäufe finanziert werden, um dem ukrainischen Militär im Krieg gegen Russland zu helfen. Nach der Einigung auf Ebene der EU-Botschafter muss der Ministerrat den Kompromiss noch formal absegnen. Im Juli könnten die ersten Tranchen überwiesen werden.

Im Umgang mit dem Vermögen der russischen Notenbank, das seit Russlands Überfall auf die Ukraine vor gut zwei Jahren überwiegend auf Konten in Europa liegt, geht die EU damit jetzt einen entscheidenden Schritt. Etwa 260 Milliarden Euro hatte die westliche Allianz fast unmittelbar nach Kriegsbeginn arretiert. Mehr als zwei Drittel davon befanden sich innerhalb der EU, größtenteils in den Büchern des belgischen Finanzkonzerns Euroclear. Der politische Druck, diese Gelder zugunsten der Ukraine zu verwenden, war zuletzt immer weiter gestiegen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich die Idee frühzeitig zu eigen gemacht. Insbesondere die USA drängen auf Ebene der G-7-Staaten darauf, das Geld direkt zugunsten der Ukraine zu mobilisieren - oder es als Sicherheit für Ukraine-Kredite zu verwenden.

Anfang des Jahres hatten die EU-Mitgliedstaaten die Besitzer der sanktionierten Mittel zunächst verpflichtet, auch die Milliardenerträge einzubehalten, die sie mit dem sanktionierten Geld erwirtschaften. Darin war bereits angelegt, im Anschluss auch die Verwendung dieser Sondergewinne zu regeln. Dazu wiederum hatten die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst Mitte März eine Verordnung vorgelegt, die nun in veränderter Form in Kraft treten soll.

Allein 2024 könnten drei Milliarden Euro für die Ukraine zusammenkommen

Die beschlossene Regelung sieht vor, dass rückwirkend von Mitte Februar 2024 an etwa 90 Prozent der Zinserträge in den EU-Fonds für die Finanzierung militärischer Ausrüstung und Ausbildung geleitet werden sollen. Mit dieser sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EFF) finanziert die EU seit gut zwei Jahren vor allem Waffenlieferungen von Mitgliedsländern an die Ukraine. Die übrigen zehn Prozent sollen für direkte Finanzhilfen für die Ukraine genutzt werden. Euroclear soll einen Anteil von 0,3 Prozent behalten, um Kosten zu decken und Rückstellungen für Gerichtsverfahren zu bilden. Schon in diesem Jahr könnten etwa drei Milliarden Euro zugunsten der Ukraine zusammenkommen, schätzt die Kommission; in den Folgejahren womöglich mehr.

Derzeit sind etwa 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU eingefroren. Diese Vermögenswerte unterliegen juristisch nur einem vorübergehenden Bewegungsverbot. Sie sind noch immer Eigentum Russlands, geschützt durch die Staatensouveränität, und deshalb tabu. Sie zu beschlagnahmen, bürge Gefahren für die Finanzstabilität und den Euro, vor denen allen voran Deutschland, Frankreich, Italien und die Europäische Zentralbank warnen. Die Zinsgewinne aus diesen Vermögen aber entstünden nur wegen der Sanktionen, argumentieren beteiligte Juristen. Sie seien also nicht zweifelsfrei Russland als Eigentümer zuzurechnen. Die Risiken hinsichtlich Klagen und Vergeltungsmaßnahmen des Kremls seien deshalb beherrschbar.

Ursprünglich handelte es sich bei den Finanzmitteln schlicht um Auslandsvermögen der russischen Notenbank, das wie üblich überwiegend in Form von Staatsanleihen angelegt war. Diese Anleihen werfen laufend Zinserträge ab, werden mit der Zeit fällig, also zurückgezahlt und damit automatisch zu Bargeld. "Die Barmittel werden von der Euroclear-Bank im Einklang mit den banken- und zentralverwahrungsrechtlichen Vorschriften sehr umsichtig reinvestiert", erklärt ein Euroclear-Sprecher. "Angesichts des derzeitigen Zinsumfelds und der Marktbedingungen werfen diese Anlagen positive Nettozinserträge ab." Allein im vergangenen Jahr erwirtschaftete Euroclear nach Unternehmensangaben 4,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Erträgen mit dem russischen Vermögen.

Österreich und Irland haben Probleme damit, das Geld für Waffenkäufe zu verwenden

Die Verhandlungen der EU-Staaten waren zuletzt noch schwierig wegen der Haltung von Staaten wie Österreich und Irland, die sich als neutral verstehen. Diese Länder haben Probleme damit, das Geld für Waffenkäufe zu verwenden. Ihnen steht dem Kompromiss zufolge nun offen, sich auf humanitäre Hilfe zu beschränken.

Zusätzlich zu den Zinsgewinnen hat die belgische Regierung versprochen, den Anteil an Unternehmensteuern, die sie auf die Sondererträge erhebt, der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Zuletzt hatte Belgien signalisiert, diese Steuereinnahmen von 2025 an in einen gemeinsamen EU- oder G-7-Fonds für die Ukraine einfließen zu lassen. Vergangenes Jahr hatte Belgien nach Regierungsangaben 1,7 Milliarden Euro an Körperschaftsteuer mit den Sondergewinnen vereinnahmt.

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